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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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»Ich ziehe mal.«
    Mit lautem Knarren schwang der Boden unter der Figur beiseite. Das Rauschen verstärkte sich noch einmal. Die Freunde traten an den Rand der Öffnung und versuchten, etwas zu erkennen, doch sie blickten nur gegen eine schwarze Wand. »Wie tief man wohl fällt?«, fragte der Magister. Beide dachten dasselbe: Wer hier noch bei lebendigem Leibe nach unten fiel, der kam spätestens im Fluss durch Ertrinken zu Tode.
    »Adios, Fluchtweg!«, seufzte der Magister.
    »Gehen wir zurück«, sagte Vitus.



Der Angeber Ozo

    »Ich hab unseren Herrn Jesus vor ein paar Monaten gesehen, ich glaub, es war im März, unten an den Flusswiesen vom Pajo, wo ich unsere Schafe immer hüte. Er hat sich mir gezeigt. Mir und keinem anderen!«
    Ozo stellte den zweirädrigen Wagen an der Stadtmauer ab und verschnaufte erst einmal. Der Karren war schwer und hoch beladen. Das Gefährt zu schieben hatte ihn größere Anstrengung gekostet, als er sich eingestehen wollte. Alles, was sich irgendwie zu Geld machen ließ, türmte sich darauf: drei Kisten früher Äpfel, Körbe mit frischen Bohnen, Kräuter, zwei Schinken, mehrere Krüge Olivenöl, ein Dutzend Garnknäuel aus gesponnener Schafswolle und vieles mehr. Sogar ein quiekendes Ferkel war dabei. Es war Markttag in Porta Mariae.
    Und wie immer, wenn es galt, eine Arbeit zu verteilen, war die Wahl seiner Mutter auf ihn gefallen: »Sieh zu, dass du das ganze Zeug gut verkaufst«, hatte sie gesagt, sich umgedreht und mit ihrer Nachbarin weitergetratscht. Doch im Gegensatz zu sonst hatte Ozo sich die Laune nicht verderben lassen. Heute nicht.
    Denn er war verliebt. Und er hoffte, dass Nina auch diesmal wieder auf dem Markt sein würde. Sie war das schönste Mädchen, das er je gesehen hatte, ihr Haar war wie Seide, ihre Augen schwarz und voll verhaltener Glut, ihre zarte Figur bewegte sich grazil wie ein kleiner Vogel. Unzählige Male schon hatte er sich vorgestellt, wie er sie küssen würde, sie umarmen würde, die Schwellungen ihrer Brüste fühlen würde ... Unwillkürlich wanderte sein Blick zu dem Platz links neben dem seinen, dorthin, wo ihr Vater, Carlos Orantes, seine Waren feilzubieten pflegte. Doch Orantes und seine Tochter ließen heute auf sich warten.
    Viele andere Bauern und Händler hatten bereits damit begonnen, ihre Waren entlang der Markteinfriedung auszubreiten.
    Beunruhigt begann Ozo selbst abzuladen. Früchte, Kräuter, Wolle und Schinken richtete er so aus, dass sie in wenigen Minuten, wenn die Sonne über die Mauer stieg, vorteilhaft im Licht liegen würden. Das Schwein ergriff er bei den Hinterläufen und sperrte es in eine kleine Kiste. Es quiekte ängstlich. Immer wieder wanderte Ozos Blick nach links, aber noch war von seiner Angebeteten nichts zu sehen. Doch da! Da kam sie! Der klapprige Blockwagen von Orantes wurde um eine Hausecke geschoben und näherte sich. Über Ozos Züge ging ein Strahlen. Wie süß Nina aussah! Sie hatte zwar nur einen vielfach geflickten Arbeitskittel an, aber Ozo war es, als trüge sie das schönste Kleid der Welt. Ihr Vater schien heute nicht mitzukommen. Nina war allein. Ozo konnte sein Glück kaum fassen. Er würde sie ansprechen können, ohne von den misstrauischen Blicken ihres Vaters durchbohrt zu werden. Er würde ihr sagen ...
    »Ist das ein Schaf, das unsere Schwester da so anglotzt?«, hörte Ozo eine Stimme hinter sich. Er fuhr herum. Ninas Zwillingsbrüder standen vor ihm und feixten. Einer ihrer üblichen Scherze. Ozo wusste nicht, ob der, der die Beleidigung ausgesprochen hatte, Antonio oder Lupo hieß. Er konnte sie nicht auseinander halten, niemand konnte das. Der andere jedenfalls, wie immer er hieß, stemmte die Arme in die Hüften und runzelte die Stirn:
    »Das ist eine schwierige Frage, Bruder«, sagte er und schien angestrengt nachzudenken. »Ich glaube fast, hier steht wirklich ein Schaf vor uns. Der blöde Gesichtsausdruck lässt keinen anderen Schluss zu. Allerdings«, er unterbrach sich und legte die Hand grübelnd an die Schläfe, »sind da diese gewaltigen, buschigen Augenbrauen ...«
    »Du meinst, die findet man bei Schafen nicht?«, fragte der erste Bruder, jetzt ebenfalls sehr nachdenklich.
    »Auf keinen Fall! Jedenfalls nicht bei normalen Schafen.«
    »Vielleicht ist es ein besonders dämliches Schaf?«, überlegte der erste.
    »Nein, nein, damit hat es sicher nichts zu tun«, wehrte der zweite Bruder ab. »Ich hab's! Mit diesen Augenbrauen lässt sich trefflich der Boden aufwischen!«
    »Wie

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