Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
Vom Netzwerk:
sei. Doch wer immer diesen Gedanken gehabt haben mochte, er war des logischen Denkens nicht fähig. Das stand für Mateo fest. Denn vorausgesetzt, die Familie des Angeklagten war wirklich reich, warum hatte die Mutter ihn dann ausgesetzt? Die Antwort lag auf der Hand: Das Kind war ein Bastard und als solcher unerwünscht. Mithin auch nicht erbberechtigt und schon gar nicht begütert.
    »Ihr solltet jetzt zugeben«, sagte Mateo mit bemüht väterlicher Stimme, »dass der Teufel in Euch wohnt und Euch dazu verleitete, ein Zwiegespräch mit Geistern und Dämonen zu führen. Gott sei Eurer armen Seele gnädig.«
    »Jawohl, gestehe!«, rief Schiefhals.
    »Nein.«
    Schiefhals, dessen Zorn zwischenzeitlich nachgelassen hatte, lief abermals rot an. Er nahm einen schweren Folianten zur Hand und begann scheinbar beiläufig daraus vorzulesen: » Von der Kunst des Verhörens und den Gradationen des Torquierens, ein Werk des Thomasius von Palencia. Ich zitiere: Der erste Foltergrad besteht im Anlegen der Daumenschrauben, wobei es einfache und doppelte Schrauben gibt; die vorderen Fingerglieder werden unter metallene Spitzen geklemmt, alsdann werden sie so lange zugeschraubt, bis der Delinquent das Geständnis ablegt.«
    Schiefhals sah auf und suchte den Blick des Angeklagten. Vitus tat, als schaue er aus dem Fenster. Die Qualen der Daumenschrauben waren bei Gott nicht neu für ihn. Schiefhals zuckte mit den Schultern. »Der zweite Grad ist der Brummende Trog. Dabei legt sich der Delinquent in eine Art Zwangssarg, dessen Deckel anschließend fest verschlossen wird. Sodann wird durch ein Loch im Holz ein Schwärm Hornissen oder Wespen hineingelassen, welcher mit seinen Stichen den Ketzer torquiert. Sein Leib schwillt bisweilen derart an, dass die genagelten Bretter auseinander gedrückt werden. Der Tod tritt mal rasch, mal erst nach Tagen ein.« Schiefhals blätterte um und räusperte sich. Er bemerkte, dass die Augen des Alcalden sich vor Schreck geweitet hatten. Bischof Mateo, dem die Passagen des Buches nicht neu waren, betrachtete seine gepflegten Fingernägel. Der Assistent las weiter: »Der dritte Grad ist die Papageienschaukel. Der Ketzer setzt sich auf den Boden, die Beine bis zur Brust angezogen. Die Hände greifen nach vorn vor die Fußgelenke, wo sie fest zusammengebunden werden. Anschließend steckt der Folterknecht von der Seite eine Stange zwischen Oberarmen und Kniekehlen hindurch. Die Stange wird in Manneshöhe angebracht, der Ketzer hängt gebündelt daran, den Kopf nach unten. Langsam und qualvoll stirbt alles an ihm ab.«
    Der Angeklagte war hartnäckig. Er reagierte noch immer nicht.
    »Der vierte Grad ist die Feuerfolter. Dabei werden mehrere zu einem Bündel geschnürte Lichter entzündet und unter die Achseln des Delinquenten gehalten. Ist die Haut abgebrannt und das Fleisch offen, wird siedendes Öl oder flüssiges Pech hineingegossen ... Muss ich noch weiter lesen, Angeklagter?«
    »Wie es Euch beliebt.« Vitus' Miene war steinern.
    »Macht Euch nicht unglücklich, Mann«, sprach der Alcalde plötzlich. Er blickte Vitus aus trägen Augen an.
    »Ihr macht doch alles nur noch schlimmer, wenn Ihr nicht abschwört! Tut es endlich, vielleicht entgeht Ihr dann der Folter. Eine Teufelsaustreibung mag sich später anschließen, um Eure Seele zu retten.«
    »Ich danke Euch, Alcalde, für Eure fürsorgliche Aufforderung«, sagte Bischof Mateo förmlich. Er konnte nicht wissen, dass die Worte des Bürgermeisters durchaus nicht uneigennützig waren, denn die Mittagszeit nahte und Don Jaime verspürte Hunger. Ein baldiger Abschluss der Verhandlung erschien ihm deshalb erstrebenswert.
    »Allerdings«, schränkte Mateo ein, »bin ich nicht sicher, ob eine exorzistische Sitzung bei dem Angeklagten zum Erfolg führen wird.«
    »Ich habe nichts abzuschwören«, beteuerte Vitus. Er fühlte, dass er sich kaum noch in der Gewalt hatte.
    »Wie du willst.« Schiefhals las verbissen weiter: »Der fünfte bis siebte Grad ist, je nach Zustand des Ketzers, in der Reihenfolge zu variieren. Es handelt sich um die Baskischen Hosenträger, den Hackerschen Stuhl und den Andalusischen Bock. Bei den Baskischen Hosenträgern verfährt man wie folgt ...»
    »Hört auf!«, brach es unvermittelt aus Vitus hervor.
    »Hört auf! Hört auf. Hört auf! Ich ertrage das nicht länger!«
    »Aaah, ich sehe, du kommst zur Vernunft.«
    »Nein, ich werde verrückt!« Wie eine Welle schlugen Angst, Wut und Verzweiflung über ihm zusammen und raubten ihm

Weitere Kostenlose Bücher