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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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schließlich war nicht ganz auszuschließen, dass es sich bei dem Angeklagten um einen Unschuldigen handelte. Doch die Tatsache, dass man ihn, einen geweihten Bischof, jetzt von allen Seiten in einer so distanzlosen Art bedrängte, bewirkte das genaue Gegenteil bei ihm. Er ruderte mit den Armen, um seine Bewegungen wieder in kontrollierte Bahnen zu lenken, und stieß mit dem Finger auf Vitus: »Dieser Mensch ist angeklagt, vom Teufel besessen zu sein! Ihr, Abt Gaudeck, mögt Euch mit dem besten Gewissen der Welt für den Jungen verbürgen, allein, Ihr kennt weder die heiligen Pflichten bei inquisitorischen Prozessen, noch habt Ihr während solcher die vielen Gesichter des Teufels erblickt!«
    »Ich muss keine Inquisitionsprozesse kennen, um zu wissen, dass die Seele dieses Jungen rein und unbescholten ist.«
    »Es gibt Zeugen, die ihn bei teuflischer Tätigkeit beobachtet haben!«
    Gaudeck nahm Vitus noch fester in den Arm. Die Glieder der Kette klirrten. »Gilt Euch das Wort jener Zeugen mehr als die Bürgschaft eines Abtes?«
    »Für mich gilt nur die Frage, ob der Angeklagte schuldig ist oder nicht. Das herauszufinden, wird uns die Folter helfen. Sie ist ein von der heiligen Mutter Kirche gesegnetes Mittel zum Herausfinden der Wahrheit, wie Ihr sicher wisst.«
    »Ich weiß es, Exzellenz! Und ich weiß noch vieles mehr. Ich weiß zum Beispiel, dass es im Römischen Recht einen Satz gibt, der da heißt: In dubio pro reo, im Zweifel für den Angeklagten, ein Satz, der in Eurem Kirchenrecht völlig unbekannt zu sein scheint.«
    »Ihr wisst nichts! Denn das Römische Recht ist heidnisches Recht, und ich warne Euch, mit hexerischem Gedankengut zu argumentieren.« Mateos Stimme überschlug sich fast. Die Verhandlung, ursprünglich angesetzt, um die Schuld, gegebenenfalls auch die Unschuld des Angeklagten ans Tageslicht zu bringen, geriet immer mehr zu einem Streitgespräch zwischen Abt und Bischof:
    »Nichts wisst Ihr! Die Kirche befiehlt, dass jeder Zeuge, ich betone: jeder!, der Ketzertum zur Anzeige bringt, ernst genommen werden muss, denn der Allmächtige selbst spricht durch seinen Mund. Nur so ist es in Jahrhunderten gelungen, die Häresie einzudämmen und dem rechten Glauben Bahn zu brechen. Das unumstößliche Mittel dazu, und das wisst Ihr so gut wie ich, ist das Paragraphenwerk, das wir Inquisitionsprozessordnung nennen. Gott selbst hat es durch seine Erdendiener niederschreiben lassen. Mit seiner Hilfe werden Verdächtige angeklagt, bei begründetem Verdacht gefoltert und nach dem Geständnis verbrannt! Oder, in selteneren Fällen, freigesprochen. In aller Regel jedoch zeigt sich der Teufel rasch, spätestens bei der peinlichen Tortur!«
    »Und derjenige, der sich anmaßt, den Teufel zu erkennen, ist nicht selten der Teufel selbst.« Gaudecks Augen blitzten kampflustig.
    »Ihr vergesst Euch, Herr Abt!« Mateo spürte, dass er nicht mehr lange Herr seiner selbst sein würde. Die Erwiderung von Gaudeck war nicht nur in hohem Maße unziemlich, sie grenzte an Lästerung der Kirche. Die Lust, sein Gegenüber niederzubrüllen, kam in ihm hoch wie Lava in einem Vulkan. Der Ausbruch stand unmittelbar bevor, und er hatte ausnahmsweise nicht die Absicht, sich irgendwelche Zwänge aufzuerlegen:
    »Macht, dass Ihr fortkommt mit Eurem lächerlichen Tross!«, schrie er so laut, dass seine Stimme am anderen Ende der Plaza zu hören war. »Nicht ohne Vitus.«
    »Doch! Ohne den Angeklagten! Denn dies ist nicht Euer Prozess! Gnade Euch Gott, wenn Ihr mir meine Kompetenz streitig machen wollt! Und jetzt verschwindet, bevor ich Euch allesamt einkerkern lasse!« »Das bringt Ihr nicht fertig.«.
    Mateo öffnete den Mund, um dem Abt die passende Antwort entgegenzuschleudern, als Gaudeck plötzlich beiseite geschoben wurde. Nunu erschien auf der Bildfläche. Der Lärm hatte ihn angelockt.
    »Is was, Exzellenz?« Seine Blicke wanderten verständnislos im Raum umher.
    »Die Verhandlung ist unterbrochen worden«, erklärte Don Jaime bereitwillig.
    »Nunu, du bringst den Angeklagten Vitus auf der Stelle zurück in den Kerker! Der Prozess wird morgen Vormittag zur gleichen Stunde fortgesetzt! Ich werde die Verhandlung zu einem erfolgreichen Abschluss führen, so wahr ich Mateo de Langreo y Nava heiße! Ich werde den Angeklagten foltern lassen, so lange, bis sein Geständnis mit seinem Blut geschrieben werden kann!«
    »Ja doch, ja.« Nunu riss Vitus von Gaudeck los.
    »Ich protestiere!«, rief Gaudeck. »Ich protestiere auf das

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