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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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hinter sich, und er spürte, dass dieser Schiefhals gefährlicher war als Ignacio. Schiefhals schien direkt auf sein Ziel zuzusteuern, ohne Umwege, ohne Skrupel, ohne Rücksicht zu nehmen auf die elementarsten Regeln der Höflichkeit.
    »Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut«, sagte er schließlich.
    »Das behaupten alle, die des Teufels sind.«
    »Nur weil ich meinen Vater und meine Mutter nicht kenne, unterstellt Ihr mir, teuflischen Blutes zu sein? Das würde bedeuten, dass alle Kinder, deren Eltern unbekannt sind, automatisch Teufel wären! Demnach würde es auf dieser Welt Zehntausende, vielleicht Hunderttausende von Teufeln geben. Das glaubt Ihr doch selbst nicht.«
    »Was ich glaube, spielt keine Rolle.« Schiefhals lächelte überlegen. Der Bursche verkaufte sich nicht schlecht. »Es gibt mehr Sünde und Gottlosigkeit auf dieser Welt, als wir alle denken. Im Übrigen hat der Teufel viele Gesichter. Er ist so raffiniert, dass ein wackerer Gottesmann nicht misstrauisch genug sein kann, will er die Seelen der Normalsterblichcn seinem Einfluss entziehen. Hast du ein Stigma diabolicum an deinem Körper?«
    »Ein Teufelsmal? Natürlich nicht.« Vitus hoffte, dass er nicht sofort den Beweis dafür antreten musste, denn in der Tat trug er ein bohnengroßes, rosafarbenes Muttermal an der Innenseite des rechten Oberarms.
    »Aha.« Schiefhals schien nichts zu ahnen. Er lehnte sich wieder bequem zurück und tauschte einen Blick mit Bischof Mateo. »Die Perfidie des Teufels besteht nicht zuletzt darin, dass er in eine männliche oder weibliche Hülle schlüpft und aller Welt vorgaukelt, ein normaler Mensch zu sein. Doch diese Normalität verdeckt nur das Satanische.«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Und ich glaube, dass wir es bei dir genau damit zu tun haben. Du bist nicht du. Du bist Illusion. Wahr ist, dass der Teufel in allen möglichen Formen erscheint und verschiedene menschliche Gestalten annimmt. Er nimmt die Seele gefangen und täuscht sie durch Träume, in denen er ihr bald glückliche Ereignisse, bald Unglücksfälle, bald unbekannte Personen zeigt. Auf diese Weise führt er sie auf den Pfad des Irrtums. Obwohl sich dies alles nur in der Seele abspielt, glaubt der Geist, es handele sich bei diesen Phantasmata nicht bloß um Produkte der Einbildungskraft, sondern um Wirklichkeit.«
    »Die Folter, die mir Euer Vorgänger hat angedeihen lassen, war allerdings ein Alptraum.« In Vitus' Stimme schwang bittere Ironie mit.
    »Das ist der Beweis!« Schiefhals schnellte von seinem Sitz hoch. »Es war der Teufel in dir, der sich deiner Seele bemächtigt hat und deinen Geist die Wirklichkeit der Folter erleben ließ. Als Ketzer verspürtest du bei den einzelnen Prozeduren, im wahrsten Sinne des Wortes, teuflische Schmerzen!«
    »Das ist Spiegelfechterei mit Worten«, entgegnete Vitus mühsam.
    »Das ist die Wahrheit!« Schiefhals hatte nicht damit gerechnet, sein Gegenüber so schnell überführen zu können. »Schon Burchard von Worms, ein deutscher Glaubensstreiter, hat diese Thesen vertreten, basierend auf dem Canon episcopi, dessen Ursprung auf das Konzil von Ancyra anno 314 zurückgeführt wird. Mithin ist der Canon episcopi so alt wie die Kirche selbst.« Schiefhals holte tief Luft: »Willst du etwa die Worte der Kirche in Frage stellen?«
    »Natürlich nicht, ich ...«
    »Das ist gut. So kommen wir weiter ...«
    »Nein, so kommen wir nicht weiter, Ihr habt mich unterbrochen und ...«
    »... und du mich!« Schiefhals schoss die Zornesröte ins Gesicht; eine Ader schwoll an seiner Schläfe. »Hüte deine Zunge, Ketzer!«
    »Ihr tätet besser daran«, wandte Bischof Mateo sich an Vitus, »der Beweisführung von Pater Enrique keine Widerworte entgegenzusetzen. Kooperiert mit uns, und die Folter kann möglicherweise entfallen.«
    Er blickte verständnisheischend hinüber zum Alcalden:
    »Ein Autodafe allerdings scheint bei der außerordentlichen Schwere des Falls unabdingbar zu sein.«
    »Hm«, machte Don Jaime. »Ich weiß nicht recht, Euer Exzellenz.«
    »Aber ich.« Mateo betrachtete den widerborstigen Angeklagten genauer. Der Mann hatte ein für seine jungen Jahre schon recht markantes Gesicht. Seine Haare, wenn auch verfilzt und schmutzig, waren normalerweise wohl blond und lockig, ja geradezu engelgleich ... Sehr verdächtig! Eine Notiz fiel ihm ein, die er irgendwo als Randbemerkung auf einem Pergament gelesen hatte und in der die Vermutung geäußert wurde, dass dieser Vitus das Kind einer begüterten Familie

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