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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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keinen Fall«, antwortete Pater Thomas für Enrique. Er hatte sich neben den Verletzten gekniet und ihn rasch, aber gründlich untersucht. »Der Mann leidet unter einem torticollis«, erklärte er, »einem Schiefhals.«
    Der Arzt kam in ihm durch, und er gab eine genaue Diagnose ab: »Die Ursache für diese Behinderung ist meist eine Verkürzung des Musculus sternochidomn-stoideus, die wiederum häufig auf einen bei der Geburt entstandenen Bluterguss zurückzuführen ist. Dieser verkürzte Muskel nun ist offenbar durch einen Schlag nochmals in Mitleidenschaft gezogen worden. Ich hoffe, es ist kein Muskelriss. In diesem Fall kann nicht ausgeschlossen werden, dass nach Verheilung der Kopf noch schiefer steht.«
    Seine Hände untersuchten weiter. »Ferner ist festzustellen, dass der Schulterkopf allgemein starke Prellungen und Quetschungen aufweist. Das Sinnvollste wäre, sie zu kühlen und den Muskel mit einer durchblutungsfördernden Salbe zu versorgen.« Er stand auf. »Ich schlage vor, Exzellenz, Ihr lasst ihn hinaustragen, und ich kümmere mich um ihn.«
    »In Gottes Namen.« Mateo konnte die angebotene Hilfe schlecht abschlagen, auch wenn es ihm wider die Natur ging, dass die Verhandlung immer mehr aus dem Ruder lief. »Wachen, schafft Pater Enrique hinaus, aber vorsichtig.« Die beiden Hellebardisten taten wie befohlen. Pater Thomas begleitete sie, wobei er darauf achtete, dass sie sich nicht allzu ungeschickt anstellten.
    »Euer Exzellenz«, meldete sich Orantes zu Wort, »ich bin zwar nur ein einfacher Bauer, und meine Zwillinge hier sind ganz einfache Jungen, aber auch wir möchten Euch sagen, dass Vitus ganz sicher kein Ketzer ist!«
    Bewusst hilflos drehte er seine Kappe in den Händen, lächelte schüchtern und blickte zu Boden. Er war zwar ein einfacher Bauer, aber auch ein sehr guter Menschenkenner. Und als solcher hatte er dem Bischof sofort angesehen, wie empfänglich er für devote Gesten war.
    »Was weißt du schon von Ketzerei, mein Sohn«, versetzte der Bischof. Seine Worte klangen milde, dennoch war Orantes' Intervention umsonst.
    »Euer Exzellenz«, Don Jaime legte den Zahnstocher beiseite, um sich einzumischen. Er hatte bislang wie üblich geschwiegen, doch nun war eine knusprige Lammkeule, gespickt mit Knoblauchzehen und serviert auf blühenden Majoranzweigen, vor seinem geistigen Auge erschienen, und sein Hunger hatte sich mit Macht gemeldet.
    »Vielleicht sollten wir die Gelegenheit nutzen und ein kleines Mittagsmahl einnehmen?«
    »Ja, äh, nein.« Mateo ärgerte sich über die erneute Ablenkung. Langsam wuchs ihm die Situation über den Kopf. Einerseits verspürte er keinerlei Lust, die Verhandlung selbst weiterzuführen, diese Aufgabe überließ er stets Pater Enrique - Vorsicht ist die Mutter der Karriere! —, andererseits wollte er wieder Ordnung in die Abläufe bringen und diesen Ketzer gestehen sehen.
    »Das Mittagsmahl mag eingenommen werden, aber danach machen wir weiter«, rang er sich durch. »Ich werde die Interrogatio persönlich durchführen.«
    »Aber das wird nicht gehen«, wandte Don Jaime sanft ein. Er gab sich Mühe, sein Triumphgefühl nicht durchklingen zu lassen. Endlich hatte er einmal die Möglichkeit, die kirchliche Macht in ihre Schranken zu weisen: »Schon in zwei Stunden muss ich eine Abordnung der Stadt Burgos in diesem Raum empfangen, Exzellenz. Es geht um einen Ausbau der Handelsbeziehungen unserer Städte, von dem ich mir ein weiteres Aufblühen der Region erhoffe. Die Herren werden einige Tage bleiben.«
    Er hob bedauernd die Schultern und konnte an Mateos Miene ablesen, dass seine Geste glaubhaft wirkte. Immerhin traf es tatsächlich zu, dass eine Abordnung erwartet wurde, wenn auch erst gegen Abend.
    »Tja, dann ...« Mateo zögerte.
    »Dann wird es am besten sein, wenn ich unseren ehemaligen Zögling gleich mitnehme.« Abt Gaudeck legte den Arm um Vitus. »Ich verbürge mich persönlich dafür, dass er ein gottesfürchtiger Mensch ist.«
    »Richtig«, fiel Pater Cullus ein. »Wenn dieser Junge ein Ketzer ist, sind wir alle Ketzer. Wenn er des Teufels ist, sind wir alle des Teufels.«
    »Er ist ein guter Mensch, Euer Exzellenz«, bekräftigte auch Orantes, »das habe ich sofort gespürt, als ich ihn kennen lernte. Bitte gebt ihn frei!«
    »Nein!« Mateo sprang so plötzlich auf, dass er vorübergehend die Balance verlor. Vor wenigen Augenblicken noch war er im Zweifel gewesen, ob er angesichts des Ausfalls von Enrique den Prozess fortsetzen sollte,

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