Der Wanderchirurg
auf, so dicht, dass er nicht sehen konnte, wie Antonio sich hinter meinem Rücken verdrückte.
»Leichenfledderei!«, stieß ich atemlos hervor, »die Ratte betreibt Leichenfledderei! «
»Wer seid Ihr überhaupt, und wie kommt Ihr ins Gebäude?«, wollte der Posten wissen.
»Das erkläre ich Euch später!«, sagte ich hastig, »nur so viel: Ich handele im Auftrag des Alcalden!« Natürlich war das ein Schuss ins Dunkle, denn ich wusste nicht, ob er mir das abnehmen würde, doch er gab sich mit der Erklärung zufrieden. »Ich kann meinen Posten nicht verlassen, Senior, ich ...«, hob er an, da stürzte auch schon die Ratte auf uns zu: »Wache, halte das Schwein fest!«, schrie sie und deutete heftig auf mich, »das ist ein Betrüger! «
Ich dachte, Frechheit siegt, jetzt musst du gegenhalten!
»Schwein?«, schrie ich zurück, »wer ist hier das Schwein? Du hast gestern vier Menschen angezündet, es waren Vitus, der Magister, Nunu und Martinez, dann hast du den Ort deiner Tat verlassen, um deine Spuren zu verwischen, und heute bist du zurückgekommen, um Leichenfledderei zu betreiben»
»Lüge! Lüge!«, kreischte die Ratte, »die Untersuchung wird zeigen, dass ich unschuldig bin!«
Ich schaltete rasch: Es hatte also noch keine Untersuchung stattgefunden! Das kam uns gut zustatten.
»Um zu beweisen, dass du ein Leichenfledderer bist, bedarf es keiner Untersuchung! «, rief ich mit lauter Stimme und bemerkte, dass durch den Lärm eine Menge Neugieriger angelockt worden waren. »Man sieht's allein schon daran, dass du diesen Dolch trägst! Es ist Nunus Waffe, du hast sie dem Toten gestohlen! « Die Menge fing an zu murren.
»Hm, das ist allerdings Nunus Dolch«, sagte der Wachtposten. »Ich selbst habe ihn kürzlich an seinem Gürtel gesehen. Wie kommst du daran, Ratte?«
»Ich hab ihm den Dolch abgekauft, ich schwör's bei der Heiligen Jungfrau, tot umfallen will ich, wenn auch nur eins meiner Worte nicht stimmt. «
»Besonders glaubwürdig klingt das nicht, was du da sagst«, überlegte der Posten.
»Die Ratte lügt schneller, als der Hase laufen kann!«, kam eine Stimme aus der Menge.
»Ja, hängt sie auf, hängen soll sie!«, erscholl es. »So glaubt mir doch, ihr guten Leute!«, heulte die Ratte. Plötzlich wies sie abermals auf mich: »Dieser Mann ist ein Betrüger, er und sein Sohn haben die Habe von Vitus gestohlen! Eben trug der Bengel sie noch, jetzt hat er sie schon verschwinden lassen!« Beifallsheischend schaute sie sich um. »Was redest du da, Ratte, langsam reicht es mir«, knurrte der Posten, »du machst dich immer verdächtiger.
»Aber nein! Dieser Bengel hat geklaut, der Blitzstrahl des Herrn soll mich treffen, wenn ich lüge!« »Dieser Junge, den du Bengel nennst, Ratte, hat sich die letzte halbe Stunde mit mir unterhalten.
»Aber er ist sein Sohn!« Hektisch gestikulierte sie in meine Richtung.
»Ich kenne den Jungen überhaupt nicht, habe ihn nie gesehen! «, beteuerte ich.
»Er ist keine Sekunde von meiner Seite gewichen«, bestätigte der Soldat. »Verarschen lasse ich mich nicht, Ratte. Du bist verhaftet.
Er nahm ihr den Dolch ab und überlegte laut: »Wenn ich nur wüsste, wohin mit ihr.
Ich sagte: »Darf ich Euch einen Vorschlag machen? Nehmt sein Schlüsselbund und sperrt ihn in eine leere Zelle. Wenn Ihr nachher abgelöst werdet, könnt Ihr Eurem Vorgesetzten das Verbrechen melden«.
»Das ist ein guter Rat«, antwortete er, nachdem er meinen Vorschlag überdacht hatte, »ich darf aber meinen Posten nicht verlassen.
»Macht Euch darum keine Sorgen«, entgegnete ich,
»ich halte hier solange für Euch Wache«.
Er überlegte noch ein bisschen, aber dann ließ er sich darauf ein. »Ich danke Euch, Ihr seid sehr umsichtig«, sagte er zu mir und verschwand mit der Ratte im Gebäude.
»Bis gleich!«, rief ich ihm nach. Aber kaum dass er weg war, tauchte ich zusammen mit Lupo in der Menge unter. Später trafen wir uns mit Antonio am Stadtrand. Tja, und da sind wir.« Als Orantes geendet hatte, herrschte eine Zeit lang Stille, denn jeder musste verarbeiten, was der Landmann erzählt hatte. Schließlich sprach Gaudeck: »Ihr, lieber Orantes, habt mit Euren Söhnen Intelligenz, Witz und Geistesgegenwart bewiesen. Ihr wart mutig und unerschrocken, und Ihr habt dem Guten zum Sieg verholfen. Doch ohne die Gnade des Herrn wäre dies alles nicht möglich gewesen. Lasset uns deshalb gemeinsam ein Dankgebet sprechen zu Gott dem Allmächtigen, der Euch die richtigen Dinge zum richtigen
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