Der Wanderchirurg
Orantes seine Schilderung fort. »Antonio und ich schlichen uns also durch die Gänge des Kerkers und landeten glücklich vor der Tür, hinter der wir die Todeszelle vermuteten. Seltsame Geräusche drangen daraus hervor. Es war eine Art metallisches Klappern. Wir konnten uns keinen Reim darauf machen, deshalb traten wir kurz entschlossen ein.«
»Drinnen«, erzählte Antonio weiter, »stand ein Mann mit frettchenhaften, weibischen Zügen, der ein sichtlich schlechtes Gewissen hatte, als er uns bemerkte.« »Das muss die Ratte gewesen sein«, warf der Magister ein. »Es war die Ratte«, bestätigte Orantes. »Sie hatte einen Gürtel, oder besser: das, was von dem Gürtel noch übrig war, in der Hand und schlug es gegen das Mauerwerk. Auf diese Weise versuchte sie, die silberne Schnalle von den verbrannten Lederresten zu befreien. Ihre Absicht war klar, sie wollte sie sich unter den Nagel reißen. Der Schreck hielt bei ihr jedoch nicht lange an:
»Wer seid ihr, was habt ihr hier zu suchen?«, zischte sie uns entgegen. Sie stopfte sich den Gürtelrest mit der Schnalle in die Tasche und kam drohend auf uns zu. Dabei fuchtelte sie mit einem Dolch in der Luft herum.«
»War es ein wertvolles Stück mit einer ziselierten Klinge?«, fragte Vitus. »Ich glaube, ja.«
»Dann war es Nunus. Allerdings dürfte auch er das Stück kaum rechtmäßig erworben haben.«
»Jedenfalls fuchtelte die Ratte mit dem Dolch vor unserer Nase herum, deshalb versuchte ich erst mal, sie zu beruhigen: »Es ist alles in Ordnung, Kumpel!«, sagte ich zu ihr, »wir sind Verwandte von Martinez«, und als sie plötzlich ganz betreten guckte, sagte ich schnell: »Keine nahen Verwandten, mein Freund, der Tote war ein Vetter zweiten Grades von mir, mein Name ist Ortega, und das ist mein Sohn Lobos.« »Man nennt mich Ratte «, stellte sie sich vor, »mein richtiger Name geht niemanden was an. «
»Natürlich, Ratte, ich verstehe» antwortete ich, »wir wären dir sehr dankbar, wenn wir die Asche von Martinez bekämen, damit wir seine Reste christlich begraben können. Unseres Wissens war er nicht als Ketzer eingekerkert, deshalb hat er Anspruch darauf. «
»Woher wisst ihr überhaupt, was hier passiert ist?«, fragte die Ratte plötzlich misstrauisch, »da stimmt doch was nicht? « »Es hat alles seine Richtigkeit», entgegnete ich schnell, »wir waren vorhin beim Alcalden, und wir hatten Glück, dass er ein paar Minuten Zeit für uns erübrigen konnte, so haben wir ihm von Martinez erzählt. Er wusste zwar nicht genau Bescheid, aber er hat uns trotzdem die Erlaubnis gegeben, seine Zelle aufzusuchen und seine Asche mitzunehmen. ««
»»Sonst hätte uns der Wachtposten ja auch gar nicht durchgelassen!» sagte ich«, ergänzte Antonio.
»Das leuchtete der Ratte ein.« Orantes nahm einen Schluck Wasser aus dem gemeinsamen Becher. »Sie wurde zutraulicher, zeigte auf den Boden und sagte:
»Bedient euch.«« »Wie sah es in der Zelle aus?«, fragte Vitus. »Grauenvoll!« Orantes schüttelte sich. »Das Stroh war natürlich völlig verbrannt, aber die beiden Leichen waren es keineswegs. Dazu hätte es eines richtigen Scheiterhaufens bedurft. Beide Männer sahen wie große Klumpen Holzkohle aus. Nunu war kaum wieder zu erkennen. Er muss bei seinem Tod direkt hinter der Tür gelegen haben, jedenfalls den Schleifspuren nach, die durch das Türaufdrücken entstanden waren.« »Und Martinez?«, wollte der Magister wissen. »Sah nicht viel anders aus.« Antonio ergriff wieder das Wort. »Allerdings war an ihm nicht rumgefummelt worden. Naja, bei ihm gab's ja auch nichts zu holen. Sein Körper war etwas weniger verbrannt als Nunus, vielleicht lag's daran, dass er nicht so fett war. Jedenfalls war er schon teilweise zu Asche geworden.« Er nahm ebenfalls einen Schluck Wasser. »Willst du auch noch mal, Vater?«
»Nein, gib Lupo davon ... Wir schauten uns also die Überreste genau an, und ich wandte mich an die Ratte:
»Hast du zufällig ein Behältnis, in dem wir die Asche von Martinez transportieren können ?«
»Nein«, antwortete sie, »so was hab ich nicht.«
»Schade«, sagte ich, »ich hätte dich gut dafür bezahlt.
»Ach so!« In ihren Augen erschien ein Glitzern. »An was für ein Behältnis hattest du denn gedacht? « »Keine Ahnung«, stellte ich mich dumm, »vielleicht an einen Sack oder eine Kiste oder eine Kiepe?«
Sie dachte scharf nach, plötzlich dämmerte es ihr:
»Komm mit, Kumpel«, zischte sie, »ich hab' was für dich.« Sie ging
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