Der Wanderchirurg
der ein sehr scharfes Gehör hatte. »Es wird dich nicht den Kopf kosten! Doch bevor du beginnst, wirst du das Dankgebet sprechen für die Speisen, die der Herr uns gegeben hat. Und du wirst in dieses Gebet Carlos Orantes einschließen, denn er war es schließlich, der vor ein paar Tagen zu mir kam und den Verdacht äußerte, dass Vitus in die Fänge der Inquisition geraten sei.«
»Jawohl, Ehrwürdiger Vater.« Cullus tat wie ihm geheißen. Als alle wieder aufblickten, sagte Gaudeck:
»Den Pferden und unserer Ausrüstung würde ein wenig Pflege gut tun. Vitus und Herr Magister, ich darf doch auf eure Hilfe zählen?«
»Selbstverständlich.« Die beiden standen auf. »Womit sollen wir anfangen?«
»Wartet, Cullus wird es euch zeigen.«
Kurz vor Sonnenuntergang erschien ein strahlend gelaunter Orantes am Waldrand. Die Zwillinge, beladen mit einigem Gepäck, folgten ihm auf dem Fuße.
»Gute Neuigkeiten?«, fragte Gaudeck hoffnungsvoll von der Tafel herab. Er hatte gerade mit dem Rest der Gruppe eine bescheidene Abendmahlzeit eingenommen.
»Gott der Herr hat uns Erfolg beschert!« Der Stolz in Orantes' Stimme ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er den Erfolg zu einem nicht geringen Teil auch sich selbst zuschrieb.
»Allmächtiger!« Gaudeck fiel ein Stein vom Herzen.
»Eine Frage vorab: Werden wir verfolgt?«
»Nein!« Die Antwort von Orantes und den Jungen kam wie aus einem Munde.
»Deo gratias.« Gaudeck blickte himmelwärts, während er das Kreuz schlug. »Und nun erzählt.«
»Also«, hob Orantes an, während er sich mit seinen Söhnen zu den anderen auf die Ladefläche setzte, »wir gingen zuerst auf den Markt und horchten ein bisschen herum. Dabei verteilten wir uns auf mehrere Ecken, um möglichst unterschiedliche Meinungen einzuholen. Es ist in Dosvaldes nämlich so, dass die Fischhändler in der Regel besser informiert sind als die Korbmacher, um nur ein Beispiel zu nennen, aber niemand wusste von den Ereignissen im Kerker.« »Und von einem Suchtrupp nach Vitus und dem Magister erst recht nicht«, ergänzten die Zwillinge. »Deo gratias!«, rief jetzt auch Vitus. »Dem Herrn sei Dank!« Rasch sprang er auf und schob den drei Ankömmlingen eine Essschale mit getrockneten Fischen und Pilztunke hin. Die Tunke stammte vom Magister.
»Lasst's euch schmecken!«, blinzelte er freundlich. »Um die Geschichte weiterzuerzählen«, sagte Orantes, schon kauend, »wir wollten uns natürlich nicht damit zufrieden geben, überhaupt nichts erfahren zu haben. Deshalb gingen wir direkt in die Höhle des Löwen.«
»In die Höhle des Löwen? Heißt das, ihr wart im Kerkergebäude?«, platzte Vitus heraus.
»So ist es. Und dort haben wir Dinge erlebt, mit denen wir im Traum nicht gerechnet hätten!« »Erzählt! Macht es nicht so spannend!« Jetzt gab auch Pater Thomas seine Zurückhaltung auf. Und plötzlich fragten alle durcheinander: »Wie seid ihr an der Wache vorbeigekommen?«
»Liegen die Verbrannten noch in der Zelle?« »Was ist mit der Ratte?«
Der Bauer hob Ruhe gebietend die Hände: »Der Mann, den sie Ratte nennen, hat die Tat begangen.« »Wie bitte?«
Ein neuerlicher Redeschwall brach los, doch Orantes' Stimme übertönte alle:
»Ich werde der Reihe nach erzählen. Wenn ihr mich lasst.« Es fiel ihnen schwer, doch sie zügelten ihre Neugier. Vitus gab Orantes und den Zwillingen einen Krug Wasser und einen Becher, damit sie die Mahlzeit hinunterspülen konnten. »Danke.« Der Bauer wischte den letzten Essensrest aus dem Napf. »Nachdem wir also auf dem Markt nichts erfahren konnten, gingen wir über die Plaza auf das Kerkergebäude zu. Schon von weitem sahen wir einen Stadtsoldaten davor stehen. Der Mann wirkte unruhig, man sah ihm an, dass er etwas von den Geschehnissen wusste. An ihm galt es vorbeizukommen. Deshalb teilten wir uns. Lupo trat von rechts an den Mann heran und lenkte ihn ab, während Antonio und ich links an ihm vorbei durchs Tor schlüpften.«
»Wie hast du den Wachtposten denn ablenken können?«, wollte der Magister von Lupo wissen.
»Das war ganz einfach, ich habe ihn auf seine Waffe angesprochen. Über Waffen redet jeder Soldat gern. Ich fragte ihn, woher der Stahl für seine Hellebarde käme, ob er damit schon jemanden getötet hätte, bei welchen Kämpfen er dabei war und so weiter.« Der Zwilling hielt inne und schaute in die Runde. »Bei der Gelegenheit hat er mir auch erzählt, was er von Bischof Mateo wusste, und das war nicht wenig.« »Doch davon später«, setzte
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