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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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erwartungsfroh. Gleich darauf erschien ein hoch gewachsener Mann, dessen Gesicht von einem Schnauzbart beherrscht wurde, der nach jeder Seite eine halbe Elle lang ausgezwirbelt war. Seinen Kopf schmückte ein hoher, feierlich anmutender Hut, der ebenso bunt war wie der lange, goldbestickte Rock, auf dem unzählige Edelsteine funkelten. Scharfe Augen erkannten sofort, dass es sich bei den Steinen um Glas handelte und bei dem Mann um - Arturo:
    »Hochverehrtes Publikum! Ich habe das große Vergnügen und die unschätzbare Ehre, euch das Programm der weltbekannten Truppe Los artistas unicos anzukündigen. Freut euch zunächst auf einen Mann, dem es gelungen ist, die Schwerkraft vollendet zu besiegen, freut euch auf den großen, den einmaligen Balancearo ...!«
    Mit zwei, drei federnden Sprüngen war er hinter den Wagen verschwunden und kam nach wenigen Sekunden wieder hervor. Er trug jetzt die wildlederne Tracht vom Vortag. Gleichzeitig traten Tirzah und ihr Vater auf den Platz. Santor setzte seine Fidel an und spielte eine lustige Volksweise, während Tirzah eine Trommel zur Hand nahm und einen kräftigen Wirbel schlug. Arturo begann virtuos mit seinen bunten Bällen zu jonglieren. Doch diesmal steigerte er sich, indem er zunächst nur drei, dann fünf und schließlich sieben Bälle in die Luft brachte, wobei sich jedes Mal das Tempo der Musik erhöhte. Kurz bevor er zum Schluss kam, erschien wie zufällig ein kleiner Hund und setzte sich neben Arturo nieder. Der Jongleur warf den ersten der sieben Bälle zur Seite.
    »Terro, fass!« Blitzartig sprang der Hund hoch und fing die Kugel mit dem Maul auf. Tirzah schlug dazu scheppernd zwei Becken gegeneinander. Mit der nächsten Kugel verfuhr Terro genauso. Schließlich lagen alle sieben Bälle in einer sauberen Reihe vor ihm.
    »Brav, Terro!« Arturo applaudierte dem Hund. Die gesamte Orantes-Familie fiel mit ein.
    »Hochverehrtes Publikum!«, rief Arturo kurz darauf erneut in seinem Präsentationsrock, »erlebt nun den Menschen ohne Knochen, den einmaligen, den sensationellen, den legendenumwobenen Anacondus!« Tirzah griff zu einem Schellenreifen und schüttelte ihn kräftig aus dem Handgelenk. Die Orantes-Familie sah sich gespannt um, doch Anacondus war nirgendwo zu entdecken.
    »Da!«, krähte Pedro plötzlich und zeigte mit seiner kleinen Hand auf einen der Wagen. Unter den Rädern stapfte etwas Seltsames hervor. Es sah aus wie ein menschliches Paket auf Händen. Anacondus ging mit aufgerichtetem Oberkörper, wobei er die Füße hinter seinem Nacken gekreuzt hatte. Das Gesäß befand sich bei dieser Art Fortbewegung kurz über dem Boden.
    Nachdem Anacondus zweimal um die Feuerstelle herumgegangen war, ließ er sich auf sein Hinterteil sinken und entflocht seine Gliedmaßen. Arturo ging applaudierend auf ihn zu.
    »Hochverehrtes Publikum!«, rief er, während er einen hohlen Würfel, dessen Kantenlänge kaum anderthalb Fuß maß, bereitstellte, »ihr werdet jetzt etwas erleben, das ihr nie für möglich gehalten hättet: Anacondus, der unvergleichliche Schlangenmensch, wird hier hineinsteigen und sich dabei so winzig klein machen, dass ich den Kasten mit einem Deckel verschließen kann!«
    »Das glaube ich nicht«, entfuhr es dem Magister.
    »Ah, der Herr Magister glaubt mir nicht!« Arturo blickte herausfordernd in die Runde. »Ist sonst noch jemand da, der an meinen Worten zweifelt?«
    Keiner meldete sich. Alle dachten zwar, dass diese Nummer unmöglich sei, aber niemand traute sich, es laut zu sagen. Der Magister fasste sich ein Herz: »Ich wette ein Viererstück, dass der Schlangenmensch es nicht schafft!
    Die Kiste ist so klein, dass nicht einmal der Hund von vorhin hineinpassen würde.«
    »Die Wette gilt!« Arturo wandte sich an Anacondus.
    »Du hast gehört, worum es geht. Traust du es dir zu?«
    Statt einer Antwort setzte Anacondus einen Fuß in den Würfel. Der zweite folgte. Vitus sah, dass allein die Füße des Schlangenmenschen schon fast den ganzen Boden bedeckten. Anacondus ging in die Hocke, umfasste mit den Händen von vorn seine Knöchel und zog sein Gesäß
    mit aller Kraft an die Fersen. Sein Körper bildete dadurch einen einzigen kompakten Klumpen. Langsam ließ er sich seitlich herabgleiten, wobei seine Unterschenkel die Länge einer Würfelkante ausfüllten und sein Rücken die gegenüberliegende Seite einnahm. Als dies geschehen war, konnte man ihn schon fast nicht mehr sehen. Lediglich ein Ellenbogen und ein Ohr ragten noch hervor. Gebannt

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