Der Wanderchirurg
schwer. Vitus tötete den Fang rasch mit einem Schnitt hinter dem Kopf.
»Er hat an der Oberlippe Barteln«, stellte er fest, »ich glaube, es ist eine Barbe. Gratuliere!« Gagos Augen leuchteten.
Sie angelten noch eine ganze Weile, und Gago fing zwei weitere Fische, Vitus jedoch hatte kein Glück. Schließlich erhob er sich. »Komm, Gago, wir gehen heim, sonst sind die Fische schlecht, bevor deine Mutter sie zubereiten kann.«
Gago nickte. »J-ja-g-g-gut.«
Beschwingt eilten sie nach Hause. Kurz bevor sie den Hof erreichten, kamen ihnen Nachbarkinder entgegen, und mit Gago ging eine seltsame Veränderung vor sich. Plötzlich griff er nach Vitus' Hand und versuchte, sich hinter ihm zu verstecken.
»Hasenscharte Fratze!«, riefen die herannahenden Kinder und schnitten Grimassen, die Gagos Gesicht ähnlich sehen sollten. Vitus blieb stehen, Gago drückte sich zitternd an ihn.
»Hasenscharte Fratze! Gago, ja der hatse! Hasenscharte schief und krumm macht den Gago einmal dumm: DUMM!«,
So sangen die Kinder und zeigten Gago eine lange Nase. Vitus wollte sie zur Rede stellen, doch da sangen sie schon wieder:
»Hasenscharte Fratze! Gago, ja der hatse! Hasenscharte schief und krumm macht den Gago zweimal dumm:
Der Fechtmeister Arturo
»Mit diesem Schwert hätte man mich heute Nachmittag fast erschlagen, wenn da nicht ein besonders mutiger junger Mann gewesen wäre, der mich gerettet hat. Dreimal darfst du raten, wen ich meine. Und dieser mutige junge Mann hat jetzt auf einmal die Hosen voll, weil er allein mit einem Mädchen im Wagen schlafen soll?«
B uenos dias, meine Freunde!«, lächelte Arturo, als Orantes am nächsten Tag mit den Seinen anrückte. »Bevor die Darbietung beginnt, möchte ich euch die Mitglieder unserer Truppe vorstellen. Die Damen natürlich zuerst.«
Er winkte mit der Hand zwei junge Frauen heran, die beide um die zwanzig Jahre alt sein mochten. Doch das Alter war schon alles, was beide verband, denn ihr Äußeres hätte unterschiedlicher nicht sein können.
»Dies ist Tirzah«, er deutete auf eine glutäugige Schöne mit langen, pechschwarzen Haaren, die sich temperamentvoll verbeugte.
»Und dies Maja.« Maja war klein, blond, zierlich und offenkundig schüchtern, denn sie deutete zaghaft einen Knicks an. »Tirzah ist die Tochter von Santor, einem Zigeunerpatriarchen, der es versteht, die Fidel wie kein Zweiter schluchzen zu lassen.« Arturo zeigte auf einen grauhaarigen Mann, aus dessen fleischigen Wangen eine kräftige Hakennase hervorstach.
»In Meister Zerrutti erblickt ihr einen der begnadetsten Illusionisten unserer Zeit. Er und Maja treten gemeinsam auf.« Arturo setzte eine verheißungsvolle Miene auf. »Was sie zu bieten haben, werdet ihr gleich sehen — aber nicht glauben!« Zerrutti deutete eine kurze Verbeugung an, wobei sein Blick interessiert auf den Zwillingen lag. Arturo drehte sich schwungvoll und wies auf die vier Schaustellerwagen im Hintergrund, die der Gruppe als Behausung dienten. Es waren bunt bemalte, stabil gebaute Gefährte auf vier Rädern, die an der Seite über schmale Fensterläden verfügten, durch die Licht ins Innere gelassen werden konnte. An der Hinterseite befand sich jeweils eine Tür mit Verriegelung. Die Wagen hatte man, wohl wegen des besseren Schutzes vor Überfallen, im Halbkreis aufgestellt. Der Platz, den sie auf diese Weise abgegrenzt hatten, wurde beherrscht von einer Feuerstelle, über der ein eisernes Dreibein mit Topf stand.
Arturo wies zum größten der Wagen. »Darin wohnt der viel gerühmte Doctorus Bombastus Sanussus, seines Zeichens Bader und Cirurgicus, der sich für heute allerdings entschuldigen lässt. Er sah keine Notwendigkeit für einen Auftritt, es sei denn, einer von euch ist unpässlich?«
»Es geht uns allen großartig, dank Gottes und Vitus' Hilfe.« Orantes, der für alle antwortete, deutete kurz auf Vitus. »Ah ... umso besser!« Arturo verstand zwar nicht ganz, wollte sich aber nicht aus dem Konzept bringen lassen. »Den Schlangenmenschen Anacondus und mich kennt ihr ja bereits.«
»Wann fangt ihr endlich an?«, rief Bianca.
»Ja, anfangen, anfangen!«, krähten die anderen Kinder.
»Setzt euch bitte hier um die Feuerstelle herum. Es ist noch ein wenig Glut darin von heute Mittag, und die Wärme mag euch gut tun, wenn ihr im Gras sitzt. Die Künstler werden sich jetzt hinter die Wagen begeben und nur dann hervorkommen, wenn sie ihren Auftritt haben. Einen Applaus bitte!«
Die Orantes-Familie klatschte
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