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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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guten Ernte noch einen anderen Anlass für deine Spendierfreudigkeit?« Der Magister wies mit seinem Becher auf die bauchige Weinflasche. Er und Vitus kannten Orantes mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass eine gute Ernte allein den Landmann nicht dazu verleiten konnte, sonntagabends Wein auf den Tisch zu bringen.
    »Nun ja ...« Wider Erwarten zögerte Orantes mit der Antwort. »Ich denke, wir werden nicht mehr viele Abende gemeinsam verleben, meine Freunde.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Tja, also, dieses Zigeunermädchen Tirzah hat mir neben dem ganzen Zeug, das einem immer erzählt wird, ihr wisst schon: Gesundheit, Glück, Geld, langes Leben und so weiter, also neben diesem ganzen Sermon, den man zugegebenermaßen nicht ungern hört, prophezeit, dass zwei Menschen meiner Familie mich demnächst verlassen werden, um mit ihnen, den Gauklern, weiter zu ziehen. Ich musste nicht lange nachdenken, um auf euch zu kommen, zumal ja auch Vitus nach Santander will.«
    »Stimmt«, nickte Vitus. »Wenn wir mit der Gauklertruppe reisen könnten, wäre das ideal für uns.«
    Orantes bediente sich aus dem Oliventopf. »Dann liege ich mit meiner Vermutung also richtig?«
    Vitus und der Magister schauten sich an. Sie hatten darüber noch nicht gesprochen, aber es war klar, dass sie diese Gelegenheit nicht ungenutzt lassen konnten.
    »Wenn die Gaukler uns mitnehmen, gehen wir«, antwortete Vitus für beide. Orantes schwieg darauf lange.
    »Schenke uns noch mal ein, Antonio«, sagte er schließlich leise. »Nichts ist für die Ewigkeit, aber ich hätte mir schon gewünscht, dass ihr ein wenig länger bleibt.«
    »Genau wie ich«, bestätigte Ana. »Jetzt trinke ich auch etwas.«
    Wiederum prostete Orantes allen zu: »Salud!«
    Nachdem sie ihre Trinkgefäße abgesetzt hatten, meldete sich Antonio: »Du, Vater?«
    »Was gibt's?« Der Ton in der Stimme des Zwillings ließ den Landmann aufhorchen.
    Antonio schaute Lupo an. Der nickte seinem Bruder aufmunternd zu. »Vater, Lupo und ich, wir möchten ...« Er hielt inne und blickte auf die Tischplatte. Dann nahm er sich zusammen und begann erneut: »Vater, wir würden ...«
    Der Mut verließ ihn.
    »Was möchtet ihr, was würdet ihr? Wollt ihr mich auf die Folter spannen?« Geduld gehörte nicht zu Orantes' Tugenden. Mittlerweile hatten sich die Augen aller auf Antonio gerichtet.
    »Vater, Lupo und ich, wir möchten Vitus und den Magister begleiten, wenn sie nach Santander gehen.«
    »Wie bitte?« Orantes glaubte nicht richtig gehört zu haben. Ana, die nichts Gutes ahnte, winkte den restlichen Kindern, ins Bett zu gehen.
    Als alle den Raum verlassen hatten, unterstützte Lupo seinen Bruder: »Es wäre eine gute Gelegenheit, ein Stück von der Welt kennen zu lernen, Vater.«
    »Kommt nicht in Frage!«
    »Vater«, setzte Antonio erneut an, »es wäre nur eine Reise bis Santander, anschließend würden wir sofort wieder nach Hause kommen. Das versprechen wir bei der Heiligen Mutter Maria!«
    »Ihr werdet hier auf dem Hof gebraucht.«
    »Aber Vater, du hast doch selbst gesagt, dass die Ernte gut war und dass die wichtigsten Arbeiten getan sind. Und zum Olivenpflücken Anfang November wären wir mit Sicherheit zurück.« Antonio wandte sich Hilfe suchend an Vitus und den Magister: »Ihr hättet doch bestimmt nichts dagegen, wenn wir mitkämen, oder?«
    »Was der Magister und ich wollen, spielt keine Rolle«, entgegnete Vitus. »Ob ihr uns begleitet, entscheidet ganz allein euer Vater.«
    »Und der sagt nein!«
    »Vater, wir sind sechzehn Jahre alt und keine Kinder mehr, bald müssen wir sowieso aus dem Haus, weil der Hof nicht alle ernähren kann, wenn wir einmal heiraten«, machte Lupo einen weiteren Versuch.
    »Ich sagte nein, und damit Schluss! Das ist mein letztes Wort!« Orantes sprang auf, die Zornesader schwoll ihm an der Schläfe. Er stürmte mit großen Schritten aus dem Raum. In der Tür verhielt er jählings und drehte sich noch einmal um: »Eine solche Reise ist viel zu gefährlich, kein Tag verginge, an dem wir uns nicht um euch sorgen würden!« Sprach's und verschwand im elterlichen Schlafraum. »So wütend habe ich ihn selten erlebt«, seufzte Antonio nach einer Weile.
    »Es ist aussichtslos!«, stellte Lupo resignierend fest.
    »Aber wir haben alles versucht.«
    »Euer Vater ist so viele Widerworte nicht gewohnt«, meinte Ana entschuldigend. »Außerdem seid ihr in seinen Augen noch immer nicht mehr als große Buben.«
    »Wir sind schon fast Männer!«, trumpfte Antonio

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