Der Wanderchirurg
auf.
»Man sagt, dass die Protestanten in Holland jetzt schon Fünfzehnjährige zu den Waffen rufen, damit sie gegen die Unsrigen kämpfen, und wir dürfen noch nicht mal eine Fahrt nach Santander wagen.«
»Das kann man nicht vergleichen.« Ana hielt zu ihrem Ehemann. Im Stillen aber dachte sie an Lupos Worte, dass die Erträge des Hofs für weitere Familien nicht ausreichen würden. Kinder waren zwar ein Segen, wie die Kirche immer wieder betonte, zudem stellten sie so etwas wie eine Altersversorgung dar, aber zu viele Kinder konnten einen kleinen Pächter wie Orantes an den Bettelstab bringen. Es war einfach nicht genügend Land vorhanden, um immer mehr Mäuler satt zu bekommen. Und Don Alvaro, so gutherzig er manchmal war, fragte nicht lange warum, wenn er seine Pacht nicht voll erhielt. So gesehen, war für einen Jüngling der Gedanke gar nicht so abwegig, andere Gegenden kennen zu lernen, um dort vielleicht in einen Hof einzuheiraten oder in einer Stadt ein Handwerk zu erlernen.
Ana seufzte: »Ich werde nachher im Bett noch einmal mit eurem Vater über diese Angelegenheit reden. Aber versprechen kann ich nichts.« Sie erhob sich ebenfalls.
»Gute Nacht, Seniores. Gute Nacht, ihr Jungen, geht jetzt schlafen, morgen ist wieder ein langer Tag.«
Sie verließ den Raum, um ihren abendlichen Rundgang durchs Haus zu machen. Nach einem Arbeitstag, der überwiegend in schweigsamer Atmosphäre verlaufen war, saß die Familie am Abend wieder zu Tisch. Der Hausherr war einsilbig, und seine trübe Laune steckte auch die anderen an. Keiner sagte viel. Der Versuch Anas, Orantes umzustimmen, war fehlgeschlagen.
Nachdem das Dankgebet gesprochen war, hielt Ana die Stimmung nicht länger aus. Sie schickte die Kinder wie schon am Vortag frühzeitig zu Bett. Dann räumte sie mit raschen Handbewegungen den Tisch ab und setzte sich wieder neben ihren Mann.
»So geht es nicht weiter, Carlos Orantes!«, sagte sie und blickte ihn fest an. »In diesem Haus konnte immer über alle Probleme geredet werden, und die Familie war immer einer Meinung. Das hat uns stark gemacht. Ich wünsche, dass auch dieses Problem gelöst wird.«
Orantes grunzte: »Du musst einsehen, Weib, dass die Gefahren, die mit einer solchen Reise ...« Es klopfte kräftig an der Tür.
»Tod und Teufel! Wer ist das nun schon wieder!«, schnauzte Orantes, doch die Störung war ihm nicht unlieb, denn er spürte, dass in der Zwillings-Angelegenheit die ganze Familie gegen ihn war.
»Mach mal auf, Antonio.«
Draußen stand Zerrutti.
Der Magier trug auch heute Schwarz, es schien seine Lieblingsfarbe zu sein. »Ich nicht lange halten auf«, sagte er in holprigem Spanisch, »wünsche guten Abend.« Seine Vogelaugen blickten suchend hin und her, bis sie Antonio und Lupo entdeckt hatten. »Aah, da sie sind, si! Die Zwillinge.«
»Was verschafft mir die Ehre Eures Besuchs?«, fragte Orantes reserviert.
»Entschuldigen, Senior, ich hier wegen Tirzah.«
»Tirzah? Ihr redet in Rätseln. Aber kommt erst einmal herein. Keiner soll Grund haben, an der Gastlichkeit meines Hauses zu zweifeln.« Orantes winkte Zerrutti in den Raum und wies ihm einen Schemel an.
»Und nun der Reihe nach, Meister Zerrutti. Was hat es mit dem Zigeunermädchen auf sich?« Zerrutti nippte dankbar an dem Becher Wein, den Ana ihm zugeschoben hatte, griff dann nach einer Olive und biss ein Stückchen davon ab. Es sah aus, als würde ein Mäuschen Käse knabbern. »Tirzah mir erzählen von Wahrsagerei euch, si?«
»Ja, und?«
»Sie sagen, zwei von Familie Orantes werden Gaukler begleiten, si?«
»Ich ahne etwas«, flüsterte der Magister Vitus ins Ohr.
»So ich denken nach und kommen auf Zwillinge, gemeint sein Zwillinge, ich sicher, si?«
»Hurraaaaa!« Antonio und Lupo sprangen gleichzeitig auf. »Er will uns mitnehmen!«
»Ruhe!!!«, donnerte Orantes.
»Entschuldige, Vater.« Beide setzten sich wieder.
»Fahrt fort, Meister Zerrutti. Ich bin zwar sicher, dass Tirzah zwei andere Personen meinte, aber fahrt nur fort.«
Zerrutti schien von dem Einwand unbeeindruckt.
»Ich glauben an Fügung Gott, ist Schicksal, Senior, si?«
Er knabberte an einer zweiten Olive. »Magier und Illusionist wie Zerrutti kann nix besser passieren als Zwillinge, gut für ... äh, tolle Nummern ... Ihr einverstanden, si?«
Orantes schwieg und kämpfte mit sich.
»Ich nicht umsonst wollen! Zahlen jedem Zwillinge zwei Reales in Monat, wenn mitkommen, si?«
Ana flüsterte ihrem Mann ins Ohr: »Gib deinem Herzen
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