Der Wanderchirurg
verschiedene Blutsorten geben musste, die sich nicht miteinander vertrugen. So würde sich auch die hohe Todesrate bei Transfusionen erklären ...
Trotzdem: Seine ganzen Überlegungen waren wertlos, denn man würde erst hinterher wissen, ob die Blutsorten zueinander passten oder nicht. Und dann war es wahrscheinlich zu spät. Das Risiko war viel zu hoch, auf gut Glück jemanden für eine Transfusion zu suchen. Abermals schluchzte Lupo hinter ihm. Lupo ... Lupo!
Das konnte die Lösung sein! Lupo war seinem Bruder in allem so ähnlich wie ein Ei dem anderen. Warum also sollte nicht auch sein Blut von gleicher Beschaffenheit sein? Wenn das aber so war, dann gab es eine Möglichkeit!
»Tirzah, haben wir irgendwo ein Röhrchen, an dessen Ende sich ein elastischer Ball befindet?«
»Wie lang und wie dick soll das Röhrchen denn sein?«
Sie wusste zwar nicht, worauf er hinauswollte, stellte aber keine langen Fragen.
Er erklärte ihr genau, was er meinte.
»Ich glaube, so etwas habe ich«, sagte sie schließlich, »soll ich es holen?« »Ja, schnell. Jetzt zählt jede Sekunde.«
Wenige Augenblicke später war sie wieder zurück und hielt das Gewünschte in den Händen. Es war eine Klistierspritze. Sie bestand aus einer Rindsblase, die oben und unten mit einer Verschlussnaht abgedichtet war. Obendrauf saß ein Trichter. Vitus nahm das Gerät und betrachtete es prüfend. Es schien heil und sauber zu sein.
»Gut, ich brauche es gleich. Zunächst legen wir Antonio so hin, dass seine Beine erhöht sind, damit das wenige Blut, das er noch hat, in seinen Kopf fließen kann.«
Sie legten seine Unterschenkel auf einen Schemel und warfen ihm eine Pferdedecke über, um seinen Körper zu wärmen. Als das geschehen war, überprüfte Vitus, ob das verletzte Handgelenk nach wie vor fest abgebunden war. Dann ergriff er Lupo bei der Hand: »Fühlst du dich stark genug, deinem Bruder zu helfen?«
»Ich würde alles tun, damit er nicht stirbt! Alles!«
»Gut. Ich möchte, dass du Blut spendest, damit wir es Antonio geben können. Es ist die einzige Überlebensmöglichkeit, die ich sehe.«
»Hat er denn noch eine Chance?« In Lupos Augen glomm Hoffnung auf.
»Es ist ein Versuch. Er kann Erfolg haben, er kann aber auch fehlschlagen. In diesem Fall wird Antonio, nun ... du weißt schon. Aber wie gesagt, wenn es überhaupt eine Möglichkeit gibt, dann ist es diese.«
Er bedeutete Lupo, auf einem zweiten Schemel Platz zu nehmen und eine Faust zu machen. »Es wird gleich etwas zwicken, wenn ich in die Armbeuge einsteche.« Er nahm den Schnäpper, den er normalerweise zum Aderlass brauchte, und schlug damit den Blutstrang auf. Lupo verzog keine Miene.
Sofort sprang Blut mit einem kräftigen Strahl aus der eingeritzten Stelle. Vitus fing es mit dem Trichter auf und wartete, bis die Rindsblase gefüllt war. Er bedeutete Tirzah, Lupos Arm nicht zu fest abzubinden. »Ich glaube, ich brauche später noch mehr.«
Er nahm Antonios verletzten Arm hoch und ritzte ihn ebenfalls mit dem Schnäpper ein. Dann steckte er das Klistier in die entstandene Aderöffnung und presste die Rindsblase langsam und stetig zusammen. Lupos Blut floss in Antonio über.
Es würde den Arm hinunterströmen, sich im ganzen Körper verteilen und seine lebensspendende Kraft bis in alle Winkel tragen. Immer vorausgesetzt, er hatte sich nicht geirrt. Er wiederholte den Vorgang ein zweites, drittes und sogar ein viertes Mal. Zuletzt war Lupo ähnlich weiß im Gesicht wie sein Bruder, der noch immer am Boden lag und kein Lebenszeichen von sich gab.
»Wir müssen aufhören«, sagte Vitus schließlich. Lupo winkte schwach mit der Hand. »Mach weiter, wenn es notwendig ist, ich habe noch viel Kraft.« Doch jeder sah, dass er völlig erschöpft war.
»Nein.« Vitus richtete sich mühsam auf. Er hatte über eine Stunde konzentriert in gekrümmter Haltung neben dem Schwerverletzten gehockt. Jetzt tat ihm jeder Muskel im Rücken weh.
»Soll ich dich massieren?«, fragte Tirzah fürsorglich.
»Dafür ist keine Zeit.« Er wandte sich an die Umstehenden, die während der ganzen Behandlung kein Wort gesprochen hatten. »Ist euch irgendetwas an Antonio aufgefallen, während ich die Infusionen gegeben habe? Hat er sich bewegt? Haben seine Augen geflattert? Hat ein Muskel gezuckt?« Alle, auch Tirzah, schüttelten den Kopf. So hatte er sich wohl doch getäuscht, als er vor ein paar Minuten dachte, dass Antonios Gesichtsfarbe sich ein wenig belebt hätte. Er unterdrückte die
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