Der Wanderchirurg
nicht erneut in Tränen auszubrechen. »Nein, gar nichts.«
Sie verbrachten zwei weitere Wochen in ihrem Lager vor den Toren Rondenas, und in dieser Zeit herrschte, gleichsam als Ersatz für die katastrophale Regenperiode, schönstes Spätsommerwetter.
Die wärmende Sonne, das regelmäßige Essen und nicht zuletzt Tirzahs Pflege sorgten dafür, dass Antonio und auch Lupo rasch wieder vollständig hergestellt waren. Schon nach wenigen Tagen übten sie schon wieder mit Zerrutti ihre geheimnisvolle Nummer, während Vitus endgültig die Nachfolge des Doctorus Bombastus Sanussus antrat. Zu seiner Freude hatten die Städter sich nach kurzer Zeit angewöhnt, jeden Morgen gegen 11 Uhr den Cirurgicus der Artistas unicos aufzusuchen, um sich gegen allerlei Krankheiten behandeln zu lassen. Meist waren es Leiden wie Rheuma, Gicht und Rückenschmerzen, dazu kamen die verschiedensten Verletzungen, wie sie bei der täglichen Arbeit entstanden. Gegen alle diese Arten von Beschwerden wusste Tirzah eine beachtliche Anzahl an wirksamen Salben und Heiltränken aus ihrer Zigeunermedizin einzusetzen. Aber auch andere Krankheiten waren nicht selten, darunter Frauenschmerzen, die Tirzah mit einem Trank aus Hirtentäschel, Frauenmantelkraut und Hafer bekämpfte. So hatte sie eines Tages auch Juanita, der Magd von Dona Eugenia, helfen können, und Vitus hatte bei dieser Gelegenheit erfahren, dass es dem stellvertretenden Alcalden gut ging. Wenn Vitus und Tirzah mit ihrer Behandlungsstunde fertig waren, trennten sich gewöhnlich ihre Wege. Tirzah kümmerte sich häufig mit Maja um das Fassen, das am Abend aufs Feuer kommen sollte, und Vitus erhielt von Arturo eine Fechtlektion. Er hatte weitere Fortschritte gemacht und wusste mittlerweile gut mit der Klinge umzugehen. Im Laufe der nächsten Tage kamen immer weniger Bürger Rondenas zu den Artistas unicos hinaus, es schien so, als hätten Vitus und Tirzah allen Kranken geholfen und sämtliche Familien das Gauklerprogramm gesehen. Deshalb packte die ganze Truppe eines Morgens ihre Sachen zusammen und begab sich gegen Mittag wieder auf Wanderschaft. Der letzte Kranke, ein Jüngling, der unter Amputationsschmerzen im linken Oberarm litt und von Tirzah ein Balsamum dagegen bekommen hatte, nahm einen Brief an Don Francisco mit, in dem sich Vitus im Namen der Truppe verabschiedete und für die erwiesene Gastfreundschaft bedankte. Gemächlich zogen sie am westlichen Ufer des Rudron nach Norden. Abgesehen von dem fehlenden Gefährt des Doctorus war die Reihenfolge der dahinziehenden Wagen genau wie beim letzen Mal: Vitus führte die Kolonne an, und Arturo bildete mit Anacondus den Schluss. Das Wetter war, trotz der kürzer werdenden Tage, immer noch sonnig und warm. Frühmorgens nach dem gemeinsamen
Frühstück pflegten sie aufzubrechen, fuhren, bis die Sonne am höchsten stand, rasteten dann an einem schattigen Plätzchen und machten sich anschließend wieder auf, um kurz vor Einbruch der Dunkelheit das Nachtlager aufzuschlagen.
Nur gelegentlich unterbrachen sie die ruhig ablaufenden Reisetage, um bei einem Gehöft Halt zu machen und dem Bauern Nahrungsmittel wie Hühner, Mehl, Käse, Bohnen oder auch ein halbes Schwein abzukaufen. Wenn es sich ergab, traten sie abends in ihrer Wagenburg auf, wobei der Magister, nachdem er die Assistenz bei Vitus an Tirzah abgegeben hatte, sich mehr und mehr zu einem tüchtigen Akrobaten entwickelte. Im Kerker hatte er schon großes Geschick beim Jonglieren mit Bällen gezeigt, doch jetzt vervollkommnete er seine Fähigkeiten und trat sogar als Antipodist in einer Solonummer auf: Er legte sich rücklings hin, nahm die Beine in die Höhe und balancierte auf den Fußsohlen bunte, hölzerne Rollen, die Arturo ihm zuwarf. Das Publikum, das noch nie eine derartige Fertigkeit gesehen hatte, war regelmäßig begeistert. Als sie den Ebro erreichten, lernten sie einige Bauernfamilien kennen, die sie baten, länger zu bleiben, denn die Darbietungen der Artistas unicos waren das Ereignis des Jahres. Arturo, der Vitus mehr und mehr in seine Überlegungen einbezog, schlug vor, eine vier-bis fünftägige Reisepause einzulegen, nicht nur, um den Anwohnern einen Gefallen zu erweisen, sondern auch, um den Pferden eine längere Rast zu gönnen. Sie trugen der Gruppe ihre Gedanken vor, und gemeinsam beschlossen sie zu bleiben.
Vitus nutzte die Zeit, um einige leichte Fälle zu kurieren. Meistens handelte es sich um Harmloses wie Erkältungen, Hexenschuss, Kopfgicht oder
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