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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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konnten Sturzbäche von Seewasser in den Schiffsleib dringen und sie jämmerlich absaufen lassen. Quälend langsam verstrichen die Sekunden, aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen gellten kurz danach Rufe über das Oberdeck, Segelkommandos gingen stakkatohaft hin und her, und sie bemerkten, wie der Rumpf sich um die eigene Achse drehte. Dann hörten sie die Backbordgeschütze der Falcon aufbrüllen.
    »Jedenfalls bleiben wir keine Antwort schuldig«, grinste der Magister. Er blinzelte stark, denn zwei der fünf Laternen, in deren Licht Vitus operieren wollte, waren zu Boden gefallen und in tausend Stücke zersprungen.
    »Wui, wui.« Der Zwerg machte sich daran, die Scherben zu beseitigen.
    Am Ende des Raums, dort, wo der Niedergang zum Batteriedeck hinaufführte, erschien plötzlich ein Pulk Matrosen. Die Männer hoben vorsichtig zwei Verwundete die Stufen herab. Vitus hatte keine Zeit, den mangelnden Lichtverhältnissen nachzutrauern. Immerhin konnte er sehen, dass der erste Mann einen eigenartig starren Blick hatte. Sein Kopf rollte kraftlos auf den Schultern hin und her. Vitus vermutete einen Schock.
    »Legt ihn auf den Tisch.«
    »Aye, aye, Sir.«
    Der andere Mann sah schlimmer aus. Ihm war der Unterarm bis zum Ellenbogen weggerissen worden. Blut schoss in Stößen aus dem Armstumpf hervor.
    »Magister, die Aderpresse! Schnell!«
    »Bin schon dabei.« Der kleine Gelehrte platzierte den Verletzten auf einem Stuhl.
    Vitus gab seiner Stimme einen gleichmütigen Klang, als er den Führer der Gruppe ansprach: »Wie sieht es oben aus, äh ...?«
    »Fulham, Gunner Fulham, Sir!« Der Mann nahm Haltung an. »Meine Kameraden und ich stehen an der dritten Steuerbord-Culverin.« Er grinste flüchtig. »Um Eure Frage zu beantworten, Sir: Es sieht nicht schlecht aus. Gleich zu Beginn ließ der Erste gruppenweise auf den Hauptmast der Senora feuern, tja, und schon mit der dritten Salve haben wir ihn abgesägt.«
    »Sehr gut, allerdings scheinen auch wir etwas abbekommen zu haben?«
    »Nicht der Rede wert, Sir. Feindlicher Treffer im Galion. Viel Splitterholz. Die beiden Verletzten hier waren als Scharfschützen auf dem Backsdeck postiert, deshalb hat's sie erwischt.
    Na ja, der Captain ließ anschließend wenden, damit die Steuerbordgeschütze nicht zu heiß werden und die Backbord-Gunners auch mal drankommen, aber wie gesagt, die Dons müssen gehörig einstecken.«
    »Das ist ja beruhigend. Sind noch mehr Männer verletzt?«
    »Soviel ich sehen konnte, nein.« Fulham zog fast bedauernd die Schultern hoch.
    »Gott sei Dank.« Vitus sah zum Magister hinüber, der mit Hilfe des Zwergs den Armstumpf fachgerecht behandelte. Der andere, starr dreinblickende Mann war noch immer nicht zu sich gekommen. Was hatte der Mann? Vitus fühlte den Puls und spürte - nichts. Er horchte die Brust ab - nichts. Dann begriff er. Der Mann war tot.
    Aber wodurch? Nirgendwo war ein Blutstropfen zu sehen. Keine Schramme, keine Quetschung, nicht die kleinste Hautabschürfung. Nur dieser starre, seelenlose Blick. Vitus schloss dem Mann die Augen, drehte ihn auf den Bauch und erkannte die Ursache: Genickbruch. Irgendein umherschwirrender, scharfkantiger Gegenstand hatte ihn tödlich im Nacken getroffen. Ein deutliches Hämatom, etwa vier Zoll lang und quer zum Hals verlaufend, war der Beweis dafür.
    »Ist er tot, Sir?«, fragte Fulham in Vitus' Rücken.
    »Ja. Nehmt ihn runter, Männer, legt ihn dort hinten auf den Boden. Und dann tretet ab. Oben werdet ihr dringender gebraucht.«
    »Aye, aye, Sir.« Fulham gehorchte und verschwand mit seinen Leuten. Vitus trat zum Magister. Der Verletzte saß
    zusammengesackt auf seinem Stuhl und hatte einen glasigen Blick, doch war dieser Zustand vermutlich nicht auf die Schmerzen zurückzuführen. Dafür sprach die Tatsache, dass er die Brandyflasche in kürzester Zeit geleert hatte.
    »Der Mann ist ziemlich weg«, meinte der kleine Gelehrte, während er den verwundeten Arm auf dem Operationstisch festschnallte.
    »Er dürfte kaum noch etwas spüren.«
    »Gut. Ich mache jetzt zwei halbmondförmige Schnitte in den Stumpf - einen vorn und einen hinten.« Vitus tat es und trennte anschließend Gefäße, Sehnen und Muskeln darunter durch. Dann klappte er die entstandenen Hautlappen nach oben, und der angesplitterte Oberarmknochen wurde sichtbar. Blut tropfte erneut aus dem Stumpf. Der Zwerg sprang herbei und zog die Gewindemuttern der Aderpresse fester. »Danke, Enano, halte die Hautlappen jetzt mit den Wundhaken

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