Der Wanderchirurg
unpassend, Sir«, sagte er steif.
»Habt Euch verliebt in sie, wie?«
»Davon kann keine Rede sein.«
»Kann ich gut verstehen.« Baldwin überging Vitus'
Antwort. »Hatte selbst in jungen Jahren mal eine Rothaarige, ein Teufelsweib, sage ich Euch. Haare wie Kupferdraht. Darf gar nicht daran denken, wie sie mir damals die Kraft aus den Lenden sog.«
Mit der Hartnäckigkeit des Betrunkenen ließ er sich anschließend über die Frauen im Allgemeinen und die Rothaarigen im Besonderen aus. Vitus verging schon nach wenigen Minuten die Lust, dem seichten Geschwätz zuzuhören, stattdessen widmete er seine Aufmerksamkeit der Tür. Arlette musste jeden Augenblick zurückkommen. Eigentlich hätte sie schon längst wieder da sein müssen!
Und wenn sie es sich anders überlegt hatte und in ihrer Kammer geblieben war? Nein, das sah ihr nicht ähnlich. Wieder war eine Minute vergangen. Baldwin sprach mittlerweile nur noch mit sich selbst; die anderen am Tisch waren zusehends einsilbiger geworden. Der starke Brandy nach dem schweren Mahl tat seine Wirkung.
»Ich sehe mal nach, was da los ist.« Vitus erhob sich kurzentschlossen.
Draußen schlug ihm der kalte Nachtwind scharf ins Gesicht. Der Wellengang war jetzt stärker als noch am Nachmittag. Die Phoenix machte kaum Fahrt, dafür sorgte der Treibanker, den die Mannschaft nach achtern ausgelegt hatte. Die Hecklaternen der Falcon und der Argonaut grüßten schwach herüber. Auf dem Backsdeck sah er zwei helle Flecken: die Wachgänger. An ihrer gekrümmten, sitzenden Haltung erkannte er, dass sie schliefen. Auf Taggarts Falcon wäre so etwas undenkbar gewesen. Aber dies war nicht Taggarts Schiff.
Wenige Schritte von Vitus entfernt schimmerte Licht unter der Überdachung des Ruderstands hervor. Fetzen eines Lieds klangen herauf. Wenigstens der Rudergänger schien auf dem Posten zu sein.
Suchend blickte Vitus sich um. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er keine Ahnung hatte, wo die Kabine von Lady Arlette lag. Ein erstickter Laut ließ ihn herumfahren. Dahinten vor der Poop, dem kleinen stabilen Kajütaufbau, welcher den Passagieren als Unterkunft diente, bewegten sich zwei Schatten! Mit wenigen Sätzen sprang er zu der Stelle und erkannte zwei Körper, die heftig miteinander rangen. Kein Zweifel, das war der Rücken von Catfield!
Und wer war die zweite Person? Arlette!
Die junge Frau wehrte sich verzweifelt gegen die Zudringlichkeiten des Burschen, der sie, zwischen ihren Beinen stehend, brutal an sich presste und ihren geschmeidigen Körper nach hinten bog, damit sie ihm zu Willen war.
»Hilfe!«, hörte Vitus jetzt ihre Stimme. »Hilfe, hilf...«
Ein dumpfer Schlag brachte sie zum Schweigen. Ohne eine Sekunde nachzudenken, stürzte er vor. Wie durch einen Schleier nahm er ihre kleinen Fäuste wahr, die verzweifelt auf dem Rücken des Angreifers trommelten.
»Lasst sie in Ruhe, Catfield!«, schrie er und trat dem Mann in die Kniekehle. Catfield knickte ein und fuhr herum, in seinen Augen noch die Vorfreude auf das, was er sich in wenigen Augenblicken nehmen würde. Vitus konnte nicht anders: Mit aller Kraft schlug er dem Burschen die Faust ins Gesicht. Noch mal. Und noch mal. Ein Knochen knirschte. Blut spritzte. Catfield gab einen unverständlichen Ton von sich, griff ziellos mit den Händen in die Luft und brach am Schanzkleid zusammen. Arlette taumelte auf Vitus zu und krallte sich an seinem Wams fest. Ihr Atem ging stoßweise. Er wusste nicht, wohin mit seinen Händen. Würde sie es gestatten, wenn er, selbstverständlich in allen Ehren, den Arm um ihre Schultern legte? Er wagte es nicht.
Endlich wurde sie ruhiger. Noch immer klammerte sie sich an ihn. Niemand an Deck hatte den Überfall bemerkt.
»Der Herr hat, so scheint's, Schwierigkeiten, sein Temperament zu zügeln«, sagte sie, bemüht, ihren spöttischen Plauderton wieder zu finden.
Er nickte stumm. Er fühlte nichts als grenzenlose Erleichterung, dass er noch rechtzeitig gekommen war. Plötzlich ging ein Zucken durch ihren Leib, und zu seinem Entsetzen sah er, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten.
»Dieser Unhold!«, brach es aus ihr hervor. »Dieser gemeine Schuft! Er wollte mir tatsächlich Gewalt antun!«
Sie weinte jetzt hemmungslos. Nichts war mehr übrig von der spöttischen, selbstbewussten Lady, der alle zu Füßen lagen - nichts, nur eine verzweifelte junge Frau.
»Nicht weinen«, stammelte er. »Bitte nicht weinen.«
Er umfasste ihre Taille und stützte sie. »Nicht weinen«, hörte
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