Der Wanderchirurg
Schoppen kleine, knäbbige Fläschchen, wie?«
Einzeln nahm er die Flaschen heraus und hielt sie liebevoll gegen das Licht. Die erste enthielt den hochgiftigen, dicklichen Sud des Knollenblätterpilzes, die zweite eine Tinktur, deren Hauptbestandteil aus den Blüten der Tollkirsche gewonnen wurde, die dritte barg Schierling, die vierte einfachen Gips, der aber unter den Händen des Zwergs eine fatale Wirkung entfaltete, denn der Giftmischer verstand es, daraus Kugeln zu formen, die er mit feuchter Hühnerhaut überzog. Listig pries er sie als Wundermittel gegen jede Art von Leibschmerzen an. Hatte er sie verkauft, verschwand er meistens schnell, denn wer eine solche Wärmkugel schluckte, dem wurde der Magen zwar zunächst warm, doch anschließend bleischwer. Übelkeit und Atemnot stellten sich ein. Wer die Wärmkugel auf natürliche Weise wieder ausscheiden konnte, durfte sich glücklich schätzen. Wer nicht, musste mit Schlimmerem rechnen.
Die fünfte Flasche enthielt Arsenik, ein hochtoxisches, weißes Pulver, das der Zwerg durch Erhitzen von Arsenerz persönlich herstellte...
Und so ging es weiter. Jede Flasche wurde eingehend begutachtet. Endlich kam der Winzling zum letzten Behältnis, einem kleinen Glashafen, der sich nach oben verjüngte und an der Spitze mit rotem Wachs verschlossen war. »Stechapfelmehl«, fistelte er selig, brach den Verschluss auf und schnupperte daran wie ein Hündchen.
»Kommt's auf die Messerspitze pur,
schwinden dir die Sinne nur,
kommt's auf den ganzen Löffel gar,
frisst es dich mit Haut und Haar.«
Er lächelte zufrieden. »Ein Schlappstock voll muss es schon sein.« Aufblickend vergewisserte er sich, dass Vitus noch in sicherer Entfernung war, und füllte das Pulver mittels eines kleinen Löffels in den verbliebenen Schlauch. Dann schüttelte er ihn kräftig durch. »So, hier, erfrisch dich.« Vitus war zurück und übergab den gefüllten Wasserschlauch. »Danke.« Der Bucklige zeigte sich von seiner freundlichsten Seite und trank glucksend. »Sollst selbst aber auch was schmettern«, piepste er und bot den präparierten Schlauch an. Vitus kostete. »Das ist ja Wein!«, entfuhr es ihm. »Warum trinkst du nicht auch davon?« „Der Funkel will mir nich so bekommen«, klang es scheinheilig herauf. »Aber dir schmerft er, oder nich?«
»Doch, ja.« Vitus nahm höflich einen großen Schluck.
»Ein bisschen ungewohnt vielleicht.«
»Wui, wui, 's kann schon sein. Aber das is'n Wein, der is nich von hier. Der wird mit jedem Schluck besser, das kannste holmen.« Der Winzling gluckste unterdrückt. »Ich bin so viel Wein nicht gewohnt.« Vitus wollte den Schlauch zurückgeben.
Das Mondgesicht lief rot an: »Schmetter schon!«
Achselzuckend trank Vitus nochmals. Der Wein war irgendwie scharf und billig, anders als alle, die er kennen gelernt hatte. Aber vielleicht lag es daran, dass die Mönche in Sachen Wein Feinschmecker waren und die Meinung vertraten, dass ein guter Tropfen in Maßen durchaus im Einklang mit ihrem Glaubensbekenntnis stand. »Tut mir Leid, der Wein schmeckt bitter.«
»Nur noch ein, zwei Schlückchen, und's wird dich nich mehr anfechten. Das schwör ich bei der heiligen Marie!«
»Wenn du unbedingt willst.« Vitus tat noch einen Zug, und plötzlich verlor das Gesicht seines Gegenübers die rote Farbe, wurde violett und blassgrün. Merkwürdig schmal schien es jetzt, es zerfloss förmlich, waberte auseinander und teilte sich schließlich ruckartig. Er hörte eine Stimme wie aus weiter Ferne:
»Se werden Reißtag mit dir halten, stanzen werden se dich, zwicken, beuteln, zerren ...« Vier stechende Äuglein kreisten umeinander und hielten seinen Blick gefangen. Immer mehr wurden es. Noch mehr und noch mehr. Zahllose kaulquappengleiche Mäulchen öffneten und schlössen sich in stetem Wechsel: »Kraute zu Korbe, Kuttengeier!«, fistelten sie. »Träume süß! Mein biste, mein!«
Die Erde hob sich ihm entgegen, als würde sie hochgeklappt, stieß krachend gegen seine Stirn und hinterließ eine grenzenlose Leere.
Der Magister Garcia
»Vielleicht bin ich nicht der Schwächste. Aber ich habe sehr viel für die Schwachen übrig.«
Er trug einen steifen Mantel, der über und über mit Gold escudos besetzt war. Strahlendes Licht sandte dieser Mantel aus, so hell, dass seine Augen ihn schmerzten. Er kam nur langsam voran, denn der Mantel war unsagbar schwer. Seine Schritte wurden langsamer. Die Felssteine unter seinen Füßen fühlten sich rau und uneben an,
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