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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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seltsame Laute beim Absetzen«, hörte er sich verlegen lachen. »Willst du vom Bein oder vom Flügel?«
    »Wie was?« Die Äuglein glitzerten. Widerstrebend richteten sie sich auf den Kapaun.
    »Gibste gern, gibste von beidem«, vermeldete die Fistelstimme dann. Vitus beeilte sich, dem Wunsch nachzukommen. Rasch zerteilte er den Vogel und präsentierte ihn seinem Gegenüber im Kochgeschirr:
    »Hier, bedien dich, äh ... wie ist eigentlich dein Name?«
    Der Winzling, der sich gerade anschickte, mit gekonntem Griff das größte Stück zu nehmen, verhielt mitten in der Bewegung. Wollte dieser Stürchenschnalzer, dieser Strohputzer ihn etwa auskeilen? Dachte der vielleicht, dass man ihn, den listigen Toxil, so einfach ausfragen konnte? Fast musste er grinsen über so viel Unbedarftheit. Sein Blick erfasste sekundenschnell den kleinen hölzernen Kasten, den er immer bei sich trug. Der Inhalt würde ihm auch dieses Mal sehr zustatten kommen. Kaum ein ungebetenes Augenpaar hatte je die darin verborgenen zwölf speziellen Fläschchen betrachtet, deren Pulver und Tinkturen er regelmäßig nachfüllte. Sie gaben ihm seinen Stolz, und sie gaben ihm die Macht, die andere mittels Kraft oder Reichtum ausübten.
    Das hatte auch der vierschrötige Mann zu spüren bekommen, mit dem er vor kurzem in einer Bodega gezecht hatte. Ihm, dem listigen Toxil, war dabei etwas Unverzeihliches passiert: Er hatte im Rausch über seine Gifte gesprochen, und es hatte sich angehört, als würde er von seiner Liebsten schwärmen. Der Mann hatte ihn schallend ausgelacht. Seitdem schmeckte dem Kerl kein Essen mehr, und er wurde von Tag zu Tag schwächer. Ein anderer hatte ihn bei einer öffentlichen Hinrichtung unsanft beiseite gestoßen. Als Toxil kreischend protestierte, war ihm der Bursche mit einem gewaltigen Satz auf den Buckel gesprungen. »So bleib, wo du bist!«, hatte er gerufen. »Ich will dir deinen Platz nicht streitig machen!« Die Umstehenden hatten gegrölt vor Lachen und den Kreis um ihn so eng geschlossen, dass er nicht vor-und zurückkonnte und den Spaßvogel wohl oder übel tragen musste. Der hatte die gute Aussicht sichtlich genossen und die Menge mit lustigen Sprüchen auf dem Laufenden gehalten. Doch auch die längste Hinrichtung geht einmal zu Ende, und als die Leute nach Hause drängten, konnte der Spaßvogel ihnen nicht folgen. Jemand hatte ihm Salzsäure auf die Füße gegossen.
    »Ich bin aus dem Askunesischen, Kuttengeier. Aus den Landen östlich vom Rhein, wennste das besser begneißt. Hier im Spanischen hab ich 'ne Menge Namen. Pedro oder Franco. Oder Jaime oder Juan oder sonst wie. Kannst dir einen ausklauben.«
    Toxil griff sich das nächste Stück aus dem dargebotenen Topf und biss zufrieden hinein. Er war sicher, dass er ziemliche Verwirrung bei diesem Grünschnabel ausgelöst hatte - nicht zuletzt wegen der rotwelschen Sprachbrocken, die er, einer alten Gewohnheit folgend, in seine Rede einfließen ließ. Doch es wurde Zeit, den Spieß umzudrehen und wieder selbst die Fragen zu stellen:
    »Und? Wie heißt'n du mit Namen?«
    »Vitus.«
    »Vitus? Duller Name.« Wieder biss der Zwerg kräftig zu und riss ein großes Stück Fleisch mit den Zähnen ab. Sie waren klein und nadelspitz. »Willste selbst nix schnappen?«
    »Doch, schon.« Vitus bewegte sich mit äußerster Vorsicht, um nicht mit dem Rocksaum zu klimpern. Der Zwerg aß unterdessen mit bemerkenswerter Schnelligkeit. Vitus lächelte mühsam und ergriff einen Flügel. Der Kapaun war auch am zweiten Tag noch eine Delikatesse. Kein Wunder, dass es dem Winzling so schmeckte.
    Nach wenigen Minuten war die Mahlzeit beendet, wobei der Zwerg sich den Löwenanteil gesichert hatte. Er rülpste ungeniert und rieb sich die Finger am Rock ab. Dann streckte er sich und stieß ächzend seine kurzen Ärmchen in die Luft. Zwei Trinkschläuche wurden dabei an seinem Gürtel sichtbar. Er nahm einen und hielt ihn Vitus entgegen: »Kannste mal'n bisschen Wasser keckein? Da hinterm Knick ist'n kleiner Bach. Bin selbst nich so gut auf den Stelzen.« Das hat mir gerade noch gefehlt!, dachte Vitus und erhob sich, als ginge er auf rohen Eiern. »Gern.«
    »Danke, Vitus«, sagte der Zwerg mit honigsüßem Unterton. Seine Äuglein verfolgten aufmerksam die sich entfernende Gestalt. »Wenn der da nich reichlich Mücken im Übermann hat, will ich nich mehr Toxil heißen«, kicherte er. Rasch packten seine Miniaturhände das Holzkästchen und öffneten es. »Aaah, was haben wir denn da! 'nen

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