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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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den Duft konzentrieren zu können. »Es riecht kräftig nach Kräutern und ein wenig streng.« Er schnupperte erneut. »Nach Fisch.«
    »Richtig, Söhnchen«, kaute Emilio mit offenem Mund,
    »es ist eine Würztunke, von der man sagt, dass schon die Römer sie gekannt haben. Ihre Zubereitung ist ziemlich aufwendig, aber glaub mir, der Geschmack lohnt jede Mühe.«
    »Und wie macht man diese Wundertunke?«
    »Mit Kräutern, Fisch und viel Geduld«, wie meine Nachbarin, die alte Magdalena, immer zu sagen pflegt. Man braucht dazu einen irdenen Topf mit nicht zu großer Grundfläche.
    Dahinein gibt man immer abwechselnd eine Lage Fisch, eine Schicht Salz und eine Lage Kräuter. Anschließend wird umgerührt, jeden Tag einmal kräftig, insgesamt drei Wochen lang. Danach presst man die Masse durch ein Leinentuch - Tropfen für Tropfen. Das Ergebnis ist Garon.«
    Vitus kostete. »Es riecht zwar streng, aber es schmeckt pikant. Welche Kräuter sind denn drin?«
    »Ach, daraus macht jede Frau ein großes Geheimnis. Magdalena nimmt immer so ziemlich alles, was ihr Kräutergarten hergibt: Dill, Betonie, Feldkümmel, Leberklette ...«, er runzelte die Stirn und überlegte, »das ist aber noch lange nicht alles: Liebstöckel, Weinraute und Poleiminze tut sie ebenfalls hinein. Ich glaube, auch Oregano ... oder war es Rosmarin? Egal, Hauptsache, der Geschmack des einen Krauts erschlägt nicht den des anderen.«
    »Das Rezept muss ich mir merken.«
    »Etwas Thymian kann auch noch hinein.«
    »Ah ja.«
    »Und ein Lorbeerblatt.«
    Vitus musste lachen: »Andromachus hätte seinen Theriak nicht aufwendiger herstellen können.« »Andromachus, Theriwas?«, fragte Emilio verständnislos. Vitus lachte noch immer. »Nero, der römische Kaiser, hatte einen Leibarzt namens Andromachus, der berühmt war für seinen Theriak - ein Heilmittel gegen vielerlei Beschwerden.«
    »Ja und?«
    »Und dieses Heilmittel setzt sich aus siebzig verschiedenen Kräutern und Essenzen zusammen, ist also fast so aufwendig herzustellen wie dein Garon.« »Und der Geschmack von diesem Theriak?«
    »Ist eher beißend. Zumal in einen wirksamen Theriak heutzutage auch ein gutes Stück Venezianische Viper gehört. Das macht den Trank besonders wirksam gegen Schlangenbisse.«
    »Brrr.« Emilio schüttelte sich. »Willst du mir den Appetit verderben?«
    »Nein, nein. Lass es dir weiter schmecken.« Vitus langte selber kräftig zu und stellte fest, dass ihm selten ein Frühstück so gut gemundet hatte. Dann stand er auf und steuerte hinter das Halbrund der Koniferen. »Ich verschwinde mal.« Rasch hob er die Kutte und holte sein Glied hervor. In der versunkenen Art, die allen Männern beim Wasserlassen zu eigen ist, betrachtete er den Strahl. Sein Blick fiel auf den nahen See, er überlegte, ob er noch ein Bad nehmen sollte, da trat Emilio unvermittelt hinzu.
    »Wir brechen gleich auf, will nur noch schnell das Kochgeschirr sauber machen.«
    »Ist recht!« Hastig wandte Vitus sich ab. Er war es nicht gewohnt, dass man ihn beim Wasserlassen ansprach. Die Mönche von Campodios waren stets darauf bedacht, einander nicht unliebsam zu überraschen.
    »Du bist recht ordentlich bestückt, Söhnchen«, hörte er Emilio kichern, »lass dich nicht stören.«

    Zehn Minuten später waren sie wieder unterwegs. Der Tag war wärmer als der vorangegangene, die Nebel des Morgens waren gar nicht erst aufgekommen. Die Hand des Alten wies nach oben, wo in einiger Entfernung ein Bussard kreiste. Plötzlich kippte der Vogel ab und raste im Sturzflug der Erde entgegen. Wenige Fingerbreit über dem Boden spreizte er die Schwingen und stieß die scharfen Krallen vor. Ein kurzes Flügelschlagen, ein spitzer Schrei, und der Kampf war zu Ende. Gelassen blickte der Vogel zu ihnen herüber, bevor er sich seiner Beute widmete.
    »Wahrscheinlich eine Feldmaus«, überlegte der Fuhrmann. »Die Großen fressen die Kleinen. Das ist nun mal so bei den Tieren. Und bei den Menschen ist's nicht anders.«
    »Ich wüsste gern, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen für mich war«, überlegte Vitus.
    Emilio lachte. »Du als Gottesmann wirst mir doch nicht abergläubisch werden?« Und wie so oft sprach er mit Isabella weiter: »Was glaubst denn du, mein Mädchen?«
    Er legte die Hand hinters Ohr und tat so, als würde das Maultier eine Antwort geben. Er nickte. »Jaja, könnte sein, dass du Recht hast. Vitus soll genauso zielbewusst vorgehen wie der Raubvogel.« Abermals lauschte er. »Hm ja. Erfolg wird er

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