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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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bei jeder Berührung gab es ein hässliches Rumpeln. Zwei schwarze Vögel schrien gellend am Himmel, flogen pfeilschnell heran und stießen ihm ihre Schnäbel in die Seiten. Immer neue flogen herbei, hackten auf ihn ein und fielen als Kapaune zur Erde. Er versuchte, ihnen auszuweichen, indem er weiterging. Doch mit jedem Schritt nach vorn wurde er kleiner. Es war, als ginge er zu ebener Erde eine Treppe hinab. Schließlich war er so winzig, dass er mit einem Schritt aus dem Mantel heraustreten konnte, während die goldene Hülle hinter ihm stehen blieb.
    Er blickte um sich. Seitlich standen Pater Gaudeck und Pater 'Thomas, die rhythmisch den Kopf schüttelten. Dann schreckten sie zurück, denn der Mantel verpuffte mit einem lauten Geräusch, fiel in sich zusammen und war nur noch ein Haufen Goldstaub. Eine Schlange wand sich daraus hervor. Gaudeck und Thomas zischten. Ihre Köpfe verschwanden im Nebel. Die Schlange züngelte gierig, kroch auf ihn zu und biss ihm ins Handgelenk. Gaudeck und Thomas zischten abermals. Wieder biss die Schlange zu, diesmal ins andere Handgelenk. Jählings wurde ihm klar, dass ihr Körper eine untrennbare Verbindung zwischen seinen Armen bildete. Gaudeck und Thomas traten heran und zerrten an ihr ...

    »He, du da!«, rief eine kräftige Stimme an seinem Ohr,»lebst du überhaupt?«
    Irgendjemand rüttelte ihn. Mühsam öffnete er die Augen und sah - nichts. Er lag in einem Raum, der nahezu stockdunkel war. Die Stimme, die ihn angesprochen hatte, gehörte einem Mann, den er nur schemenhaft wahrnehmen konnte. Sein Kopf glühte, in seinem Magen drehte sich alles. Beißender Gestank von Fäkalien nahm ihm den Atem.
    »Wasser, bitte«, flüsterte er schwach. Ein Becher wurde ihm an die Lippen gesetzt. Er nahm einen tiefen Schluck, dann wurde ihm schlecht. Er musste sich zur Seite erbrechen.
    »Er lebt«, stellte die Stimme zufrieden fest.
    »Wo bin ich?«, fragte er. Eine neue Welle der Übelkeit erfasste ihn. Wieder übergab er sich, diesmal heftiger als zuvor. Der Mann mit der kräftigen Stimme wischte das Erbrochene fort. Offenbar machte es ihm nichts aus, dass Vitus sich so gehen ließ.
    »Du bist im Kerker. In einem Ort namens Dosvaldes. Du wurdest von der Inquisition verhaftet und hierher gebracht.«
    »Jawohl, du bist im Arsch der Kirche«, kicherte eine andere Stimme.
    Nur langsam kam ihm die Erinnerung. »Wo sind meine Sachen? Was ist mit dem Buckligen?«
    »Keine Aufregung, mein Junge.« Die kräftige Stimme klang beruhigend. »Die persönliche Habe der Verhafteten wird normalerweise registriert und verwahrt. Vorausgesetzt, sie ist nicht viel wert. Von einem Buckligen weiß ich nichts. Wenn er dein Freund war, hat er Glück gehabt, denn du warst allein, als du eingeliefert wurdest.«
    »Wer bist du?«, fragte Vitus.
    »Ich bin Ramiro Garcia, komme aus La Coruna im äußersten Westen.« Der Schatten bewegte sich, der dazugehörige Arm machte eine wegwerfende Geste.
    »War Magister dort und lehrte die Rechte. Interessierte mich zu sehr für die Wissenschaft und zu wenig für die Lehre unserer lieben Katholischen Kirche. Deshalb bin ich hier.«
    »Mich nennt man Vitus ...« Er brach ab, denn sein Magen zog sich erneut zusammen.
    »Und mich rufen alle Magister. Kannst mich also auch so nennen.«
    »He, Magister, halt die Klappe, wir wollen schlafen«, meldete sich eine Stimme neben der Kicherstimme. Der Magister ignorierte es. »Wir reden morgen weiter«, sagte er freundlich, »dann kannst du mir deine Geschichte erzählen.«

    Früh am anderen Tag, als das Licht durch drei schmale Mauerschlitze in den Kerker fiel, sah er, dass die kräftige Stimme einem überraschend kleinen Mann gehörte. Vitus schätzte ihn auf Anfang dreißig. Sein Gesicht war von klaren Zügen geprägt. Er hatte kurzes, braunes Haar, das sich über einer hohen Stirn kräuselte. Die freundlichen, klugen Augen blinzelten häufig, denn er war stark kurzsichtig. Vitus mochte ihn von Anfang an.
    »Ich hoffe, du fühlst dich besser«, sagte der Magister. Er lag rechts neben Vitus und stützte sich mit dem Ellenbogen ins Stroh. In den Händen hielt er einen Stoffstreifen, den er sich mit geübten Bewegungen vor die Augen band. Er sah aus wie ein Kind, das Blindekuh spielen will.
    Vitus rappelte sich auf, um das seltsame Tun seines Nachbarn besser sehen zu können. Seine Handgelenke schmerzten, doch er achtete nicht darauf.
    »Danke, es geht schon.«
    »Freut mich!« Der verbundene Kopf nickte.
    »Um deiner Frage

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