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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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stets von seinem Essen ab, wobei er das Brot vorher in der Suppe einweicht, sorgt sich um ihn, wenn die Nächte kalt sind und so weiter. Felix dagegen nimmt alles mit der größten Selbstverständlichkeit hin. Man kann sagen, Felix ist ganz Ehemann.«
    Vitus ertappte sich dabei, wie er neugierig hinüberblickte, obwohl die Liebe zwischen Männern ihm nicht unbekannt war. Sie kam im Kloster häufiger vor. Aber noch nie hatte er gesehen, dass zwei sich so offen dazu bekannten. »Wenn man ihnen das zum Vorwurf macht, dürften sie bald als Sodomiten verurteilt werden«, flüsterte er zurück. »Diese Art der Liebe ist eine schwere Sünde.«
    »Richtig. Aber Nunu erzählte mir, dass sie auch der Hexerei bezichtigt werden.«
    »Heutzutage scheint jeder ein Hexer zu sein.« Vitus schüttelte den Kopf. »Und wer ist Nunu?«
    »Nunu ist ein Koloss. Ein Bulle in Menschengestalt, den ein böses Schicksal zu unserem Kerkermeister bestimmt hat. Gleichzeitig ist er Folterknecht. Er hat ungeheure Kräfte, dabei ist er dumm wie Stroh. Eine Kombination, die bei der Spezies Mensch nicht selten vorkommt. Außerdem hinkt er. Sein Gehilfe, den alle
    »Ratte« nennen, sagt, er hätte ein offenes Bein. Oberhalb des Knöchels sei ein Loch, das nicht verheilt. Das Einzige, was Nunu dazu einfällt, ist immer: »Nu, nu, da kamma nix machen, 's wächst einfach nich zu.« Deshalb sein Name.«
    Plötzlich verzog der Magister gequält die Nase, denn einer der Insassen erleichterte sich auf dem Exkrementekübel. Vitus schaute fort und bemühte sich, den Atem anzuhalten. Die Situation hatte etwas Groteskes: neben ihm der nach Luft ringende Magister und dahinter, gleichsam im Takt, die blubbernden Geräusche eines sich entleerenden Darms.
    »Wenn du erst ein paar Tage bei uns bist«, schnaufte der kleine Gelehrte, »nimmst du den Gestank als gottgegeben hin. Und wenn der Nächste uns verlässt, rücken wir beide eins weiter, fort von diesem widerlichen Abtritt.«
    Er schüttelte sich. »Wir handhaben das hier immer so: Die Neuen und Schwächsten haben den Platz am Exkrementekübel.«
    »Aber du sitzt direkt daneben, und du bist nicht neu hier! Und der Schwächste bist du auch nicht, oder?«
    Der kleine Mann lächelte. »Vielleicht bin ich nicht der Schwächste. Aber ich habe sehr viel für die Schwachen übrig.«

    Gegen Mittag wandte der Magister plötzlich den Kopf zur Kerkertür. »Hinkende Schritte! Das muss Nunu sein!«, verkündete er.
    Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, quietschend flog die schwere Tür auf.
    Im Rahmen stand eine riesige Gestalt.
    Vitus hatte noch nie einen solchen Mann gesehen. Er hatte Beine wie Säulen und einen Leib wie ein Kloß. Darauf saß ein massiger Schädel, aus dem kleine, misstrauische Augen hervorlugten. Die wenigen Haare fielen in fettigen Strähnen schulterlang herab. Er trug ein löchriges Hemd mit weitem Halsausschnitt, dazu eine ausgefranste Hose, die von einem Gürtel mit Silberschnalle gehalten wurde. Alle Kleidungsstücke starrten vor Schmutz, gerade so, als säße er selbst seit Monaten im Kerker. »Hier, euer Fraß!« Nunus Stimme kam wie aus einer Tonne. Er schob einen Eimer Suppe in die Mitte. Dazu stellte er zwei Krüge Wasser und eine Holzschüssel mit Hartbrot. Ohne ein weiteres Wort hinkte er hinaus. »Halt!«, rief Vitus.
    Wie eine Maschine blieb der Riese stehen. »Mein Name ist Vitus. Ich verlange, sofort zum Leiter des Gefängnisses gebracht zu werden!«
    »Halt's Maul.«
    Vitus wurde weiß vor Wut. »So kannst du nicht mit mir reden! Ich habe nichts verbrochen. Ich ...«
    »Maul halten, Milchgesicht!« Mit erstaunlicher Geschwindigkeit kam Nunu zurück und riss Vitus am Mantelkragen hoch. Auf halber Höhe stoppte die Kette die Bewegung. Vitus' Nase prallte gegen Nunus Unterleib. Scharfer, stinkender Uringeruch schlug ihm entgegen.
    »Maul halten«, sagte der Riese zum dritten Mal. Dann ließ er Vitus fallen wie einen Sack Zwiebeln. Sekunden später war er verschwunden. Vitus weinte.
    Vitus weinte vor Wut, vor Scham, vor Verzweiflung. Er versuchte, sein Schluchzen zu unterdrücken, um vor den anderen nicht das Gesicht zu verlieren, doch es war unmöglich. Seine Schultern zuckten verräterisch weiter. Schließlich erhob sich Amandus, nahm im Vorbeigehen ein Stück Hartbrot auf und blieb vor ihm stehen.
    »He, Junge!« Vitus weinte weiter.
    Amandus packte ihn am Arm. »Heee! Siehst du das hier?« Er zeigte ihm das Hartbrot. Vitus nickte widerstrebend.
    "Ein ganz normales Stück Brot. Ich

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