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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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wurde. Der Dolch hat den Musculus trapecius nahezu durchstoßen, den Kapuzenmuskel, wenn Ihr das besser versteht. Wie bei allen Wunden im Muskelbereich ist es auch hier zu einer starken Blutung gekommen. Ihr habt gut daran getan, den Stoffballen die ganze Zeit darauf zu drücken. Ich werde Euch einen Tampon formen, den ich in der Einstichstelle platziere. So wird einerseits die Blutung gestillt, andererseits entsteht der Effekt einer Drainage, falls die Wunde eitert. Anschließend müsst Ihr den Arm sicher für ein paar Tage in der Schlinge tragen. Muskelfasern heilen schlecht.«
    »Warum gebt Ihr mir keine Scharpie?«, fragte Martinez. Der kleine Arzt runzelte die Stirn. »Ich vergaß, dass Ihr sicher schon des Öfteren mit Feldschern zu tun hattet. Wisset also, dass ich vom Scharpisieren nichts halte. Eine Scharpie besteht aus Wolle oder Rupfen, ist häufig unsauber und regt deshalb, zumindest meiner Theorie nach, den Eiterfluss an. Ich hingegen vertrete die Meinung, dass Eiter gar nicht erst entstehen sollte. Die Körpersäfte geraten auf diese Weise nicht so durcheinander, und die Wunde heilt schneller. Das ist auch der Grund, warum ich für meine Verbände nur gewaschenes Leinen verwende.«
    Mit geschickten, schnellen Handgriffen tat er seine Arbeit. Martinez biss die Zähne zusammen, um sich den Schmerz nicht anmerken zu lassen. Als der Doctorus seine Behandlung beendet hatte, fiel sein Blick auf Martinez' linken Fuß, neben dem sich eine Blutlache gebildet hatte.
    »Was ist das? Habt Ihr noch eine weitere Verletzung?«
    »Ja, hier an der Hüfte.« Martinez zeigte die Stelle. Abermals untersuchte der kleine Arzt ihn sehr sorgfältig.
    »Ein Kratzer nur, nicht besonders tief. Ich lege Euch eine Kompresse darauf.«
    Wenig später war auch diese Arbeit getan, und der zierliche Doctorus richtete sich auf. »Ich gehe jetzt in meine Praxis. Die Behandlung Eures Gegners duldet keinen Aufschub. Ihr könnt die Daumen drücken, dass meine Heilkunst ausreicht, ihn vor dem Tod zu bewahren. Anderenfalls könntet auch Ihr des Todes sein. Die Justiz in diesem Ort macht mit Leuten Eures Schlages kurzen Prozess. Wie steht es übrigens mit der Bezahlung für meine Dienste? Ich pflege nicht für Gotteslohn zu arbeiten.«
    »Ich habe kein Geld«, antwortete Martinez verdrossen, »aber der andere bestimmt. Schaut nur in seine Taschen.«
    Nach einer weiteren Woche hielt Martinez sich noch immer in Dosvaldes auf. Inzwischen ging es seiner Schulter besser, die Schmerzen hatten nachgelassen. Seit zwei Tagen musste er den Arm nicht mehr in der Schlinge tragen. Trotzdem konnte er noch keine Bäume ausreißen. Alles in allem hatte er großes Glück gehabt und dies in doppelter Hinsicht, denn sein Gegner befand sich ebenfalls auf dem Wege der Besserung. Der kleine Doctorus hatte ihn kunstvoll operiert und bestens versorgt. Offenbar hatte der Fremde einen gut gefüllten Geldbeutel in der Tasche getragen. Martinez schnaufte grimmig. Er kannte jemanden, der dieses Geld viel dringender brauchte. Nun, wenigstens war er einer Anklage durch die örtliche Justiz entgangen.
    Es war ein schöner Morgen, viel zu schön, um trübseligen Gedanken nachzuhängen. Er lehnte sich bequem an eine Mauerecke, die schräg gegenüber dem maurischen Haus lag, und zog gedankenverloren den Dolch hervor. Seit die Waffe in seinen Besitz gekommen war, hatte er sie noch kein einziges Mal richtig begutachtet. Jetzt sah er, dass es ein wertvolles Stück war, mit fein ziselierter Klinge und einem Griff aus Silber. Er fragte sich gerade, was sie wohl bei dem Judengeier bringen würde, als plötzlich mit scharfem Knall eine Kugel auf die Klinge traf. Erschreckt blickte Martinez auf. Vor ihm, in der Mitte der Gasse, standen drei abgerissene Bengel, von denen der größte sich an ihn heranmachte.
    »Entschuldigt, Senor, kann ich den Kirschkern wiederhaben?« Fordernd streckte er seine schmutzige Hand aus. Erst jetzt bemerkte Martinez, dass es keine Bleikugel war, die seinen Dolch getroffen hatte. Misstrauisch nahm er das runde Ding auf und betrachtete es. Tatsächlich, es war ein harmloser Kirschkern. Er war ausgebleicht und abgeschliffen und etwas feucht. Martinez gab ihn zurück.
    »Danke, Senor!« Wie selbstverständlich schob der Junge die verschmutzte Kugel in den Mund und eilte zu seinen Kameraden zurück. Er nahm hinter einer in den Staub gezogenen Linie Aufstellung und fixierte einen alten, zerbeulten Kessel, der in einiger Entfernung am Boden stand. »Ich bin noch

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