Der Wanderchirurg
sehr interessant, Ozo«, nickte Ignacio. »Pater Alegrio, habt Ihr das Wort für Wort protokolliert?«
»Selbstverständlich, Hochwürden.«
»Gut, fahre fort, mein Sohn.«
»Tja ... und dann, dann sah er aus wie der Herr Jesus selbst!«, platzte Ozo heraus. »Und er rief immer so seltsame Meister an und redete von Kreisen und Figuren und ... also, das war bestimmt kein Mensch, der sah nur so aus, das war ein Geist oder so was!«
»Genau, Hochwürden«, fiel Maria ein. »Er hatte dabei die Arme gehoben, als würde er am Kreuz hängen, und ging dabei durch die Luft wie damals unser Heiland, als er über den See Genezareth wandelte und ...«
»Jetzt ist es aber genug!«, schrie Vitus dazwischen. Er konnte diesen Unsinn nicht länger mit anhören. »Ich habe bereits gestern gesagt, dass mir die Füße wund waren und dass ich meinen Stecken über die Schulter gelegt hatte, damit ich die Arme darüber hängen konnte. Das ist alles. Ich bin ein ganz normaler Mensch, der ganz normal zu Fuß nach Santander wollte. Nennt mir eine einzige Stelle in der Bibel, in der steht, dass das verboten ist oder gar mit Ketzerei zu tun hat!«
»Hilfe! Zu Hilfe, Hochwürden!« Bei Vitus' Ausbruch hatte Maria sich theatralisch ans Herz gefasst, jetzt rang sie vor Aufregung nach Luft und schlug mehrmals das Kreuz in Richtung Vitus. »Weiche von mir, Satan! Weiche von mir, Satan!«
»Nunu, gib der Frau deinen Stuhl«, befahl Ignacio. Die Dicke setzte sich, immer noch nach Luft ringend. »Da seht Ihr, was Ihr angerichtet habt!«, schalt Ignacio den Angeklagten.
Vitus hatte sich noch immer nicht unter Kontrolle. »Die Frau ist doch nicht normal!«
»Wer hier normal ist und wer nicht, das wird diese Verhandlung bald genug erwiesen haben, Angeklagter.«
Ignacio sprach jetzt mit heller, metallischer Stimme. »Hier sind zwei glaubhafte Zeugen, die als gottesfürchtige Menschen bekannt sind. Ihre Aussage steht gegen Eure, ich sehe keinen Grund, warum ich Euch mehr glauben sollte als ihnen!«
»Dann will ich Eurer Einschätzung der Lage ein wenig auf die Sprünge helfen.« Vitus' Stimme war schneidend vor Zorn. »Erstens wundert es mich, dass Ihr den beiden Zeugen lediglich den Eid abgenommen habt, über diese Verhandlung Stillschweigen zu bewahren, aber keinen darauf, die Wahrheit - und nichts als die Wahrheit - zu sagen.« Vitus sah, wie der Alcalde bei seinen Worten nickte. »Und zweitens habe ich den Eindruck, dass die Mutter bei meiner so genannten »Geisteranrufung« überhaupt nicht dabei war. Wenn das aber so ist, ersuche ich Euch dringend, nur den Jungen zu befragen, und zwar so, dass man sich ein Bild von der Glaubwürdigkeit seiner Aussagen machen kann.« Wieder sah Vitus, dass der Alcalde zustimmend nickte. Deshalb fügte er etwas hinzu, das er eigentlich nicht hatte sagen wollen: »Eure Art der Verhandlung macht dem Schimpfwort Domini canes für Euch und die Dominikaner alle Ehre!« Ignacio sprang auf. Sein Gesicht nahm eine purpurrote Farbe an, während er, sprachlos vor Zorn, nach Worten suchte. Domini canes hieß frei übersetzt »Spürhunde des Herrn«. Als solche hatten sie in ganz Europa seit Jahrhunderten Hexen, Dämonen und Ketzer aufgespürt und abgeurteilt. Ihre ursprüngliche Absicht, die Menschen zu bekehren, hatte sich dabei allzu oft in das alleinige Bestreben nach Abstrafung gewandelt. »Spürhunde des Herrn«, mit keinem Wort konnte man die Dominikaner mehr treffen - vielleicht auch deshalb, weil sie fühlten, dass ein wahrer Kern darin lag. »Sagt das noch einmal!«, zischte Ignacio endlich.
»Ihr habt mich wohl verstanden.«
»Nun, Angeklagter ...« Ignacio setzte sich langsam wieder. Er durfte sich nicht gehen lassen. Seine Stimme klang beherrscht: »Ihr benutzt da ein Schlagwort, das Ihr wahrscheinlich irgendwo aufgeschnappt habt. Den wahren Hintergrund kennt Ihr natürlich nicht. Domini cetnes, die Hunde Gottes, nennen wir Dominikaner uns mit Stolz, denn wir führen den Hund in unserem Wappen, nach dem Traum, den die Mutter des heiligen Dominikus einst hatte: Sie träumte, sie würde ein Kind gebären, das wie ein Hund aussieht, und aus dem Fang des Hundes schlüge eine feurige Flamme, mit der die ganze Welt entzündet würde. Und genau so ist es schließlich auch gekommen: Wir Dominikaner lassen uns in der Verbreitung und Bewahrung des rechten Glaubens von niemandem übertreffen!« Er winkte Pater Alegrio. »Streicht die letzten Sätze des Angeklagten aus dem Protokoll.«
»Jawohl, Hochwürden.«
»Und
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