Der Wanderchirurg
auch stehen, dass die Vorhaut Jesu Christi göttlicher Natur ist? Nichtsdestoweniger wird sie als heilig verehrt, sowohl im Lateran als auch in der königlichen Kapelle von Frankreich! Sie wird als Reliquie verehrt wie alles andere: Blut, Barthaare, Stirnlocken bis hin zu abgeschnittenen Fingernägeln!«
Don Jaime räusperte sich vernehmlich. Auf seiner Stirn bildete sich eine Zornesfalte. Ignacio war bleich geworden.
»Satan«, murmelte er, »Satan, ich habe dich erkannt. Weiche aus diesem armen Körper, weiche, weiche!«
Vitus wischte die Bemerkung mit einer Handbewegung fort. »Was ich sage, hat mit dem Satan nicht das Geringste zu tun. Ich will Euch nur deutlich machen, wie sinnlos es ist, über zweihundert Jahre darüber zu streiten, ob eine Vorhaut göttlich ist oder nicht. Haare spalten nenne ich so etwas. Und nichts anderes tut Ihr die ganze Zeit mit mir!«
Ignacio war ganz ruhig geworden. »Nunu«, sagte er, »führ diesen armen Verirrten ab. Bring ihn in die Folterkammer und foltere ihn peinlich. So lange, bis er endlich zugibt, dass er des Teufels ist. Ich bete zum Allmächtigen, dass dies rasch der Fall sein wird, denn dann ist auch Hoffnung, dass er endlich abschwört.«
»Das kann nicht sein!«, schrie Vitus. »Wie borniert seid Ihr bloß? Was muss ich tun, damit Ihr mir endlich glaubt?«
»Abschwören, mein Sohn.« Ignacio lächelte matt. »Sagt einfach nur: »Ja, ich schwöre, dass der Leibhaftige in mir ist und von mir Besitz ergriffen hat, so wahr mir Gott helfe.««
»Zum hundertsten Male: Ich habe nichts abzuschwören!
Ich habe ...«
Vitus fühlte den eisernen Griff von Nunu an seinem Arm. »Nu komm schon, Ketzerdokter!«
»Ich habe nichts abzuschwören, Herrgott im Himmel, schenke diesen Verblendeten die Gnade des gesunden Denkens!«
Ignacio wandte sich an Pater Alegrio: »Ihr begleitet Nunu und den Angeklagten auf dem Weg zur Folterkammer. Ich wünsche, dass Ihr direkt dorthin geht.«
Er überlegte kurz. »Wir haben jetzt Mittagszeit, lasst Euch, wenn Ihr hungrig seid, Essen aus der Gefängnisküche kommen. Die Folter wird am Nachmittag beginnen und, falls notwendig, bis Mitternacht andauern. Der Alcalde und ich werden uns rechtzeitig einfinden, um als Vertreter der weltlichen und kirchlichen Macht dem Geschehen beizuwohnen.«
Er erhob sich. »Ich darf annehmen, dass Ihr mit dieser Vorgehensweise einverstanden seid, Don Jaime?«
„Das dürft Ihr«, antwortete der Alcalde.
Der Kerkermeister Nunu
»Das hier sin Daumenschrauben.
Der Ketzer tut die Daumen auf 'ne eiserne Platte, wo Spitzen rausgucken, un von oben kommt genau so 'ne Platte. Die Platte oben dreh ich über'n Gewinde immer weiter runter, bis die Daumen platt sin. Wenn der Ketzer nicht gestehen will, hau ich mit'm Hammer noch drauf. Da spritzt das Blut nur so, Ketzerdokter!«
I ch kann allein gehen, Nunu!«
»Nix kannste, sicher is sicher.« Der Kerkermeister hatte Vitus mit der Faust am Kragen gepackt und schob ihn mit jedem seiner hinkenden Schritte ein Stück vor, fing mit dem gesunden Bein die Bewegung ab, brachte ihn dadurch fast zum Stehen, hinkte erneut vor, verzögerte, hinkte wieder ... Vitus fühlte sich wie auf einer Ruderbank. »Das Sprechen mit dem Angeklagten ist verboten!«, rief Pater Alegrio scharf.
»Hab doch nix gesacht, Vater!«, maulte der Koloss. Sie gingen quer über die Plaza de la Iglesia zurück zum Inquisitionsgefängnis, in dem sich die unterirdische Folterkammer befand. Der Platz lag im schönsten Sonnenschein. Jetzt, zur Mittagszeit, waren nur wenige Menschen auf den Beinen. Die Einwohner von Dosvaldes zogen es vor, während der größten Tageshitze die Mauern ihrer Häuser nicht zu verlassen. Pater Alegrio strafte Nunus Erwiderung mit Nichtachtung. Seit dem Ende der Verhandlung hatte sich seine Laune rapide verschlechtert. Es war eine ungeheuerliche Taktlosigkeit von Hochwürden Ignacio gewesen, ihn die Kirchenhierarchie derartig spüren zu lassen! Der Herr Inquisitor tafelte jetzt mit dem Alcalden in der Bürgermeisterei, während er, Alegrio, diese zwei armseligen Gestalten in die Folterkammer begleiten musste, um sich dort ein karges Mahl aus der Gefängnisküche kommen zu lassen. Dabei war er genauso priesterlich geweiht wie Ignacio, nur die Funktion war es, durch die sie sich unterschieden - und durch die Tatsache, dass Ignacio aus einer begüterten Familie stammte, deren Einfluss in Rom beträchtlich war. Er verdankte die Würde des Inquisitors weniger seinem herausragenden
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