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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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angefleht, er möge ihn davon befreien, aber der Allmächtige hatte ihn stets mit seiner Schwäche allein gelassen, und so war er damit nicht fertig geworden. Immer wieder hatte die Hure ihn wie mit magischer Kraft angezogen, und er hatte, trotz der Gefahr, die sich für ihn mit diesem Tun verband, seine Besuche fortgesetzt. Es war zu hoffen, dass sie schwieg und von alledem nichts nach Rom durchsickern würde ...
    Er zwang seine Gedanken wieder in die Gegenwart:
    »Durch Eure Zunge spricht der Teufel, Gottloser! Gebt endlich zu, dass Ihr ein Ketzer seid. Sagt es, sprecht es aus, befreit Euch von Euch selbst, wenn Ihr gesündigt habt!«
    »Wenn ich gesündigt haben sollte, bin ich gern bereit, mir von Euch die Beichte abnehmen zu lassen. Aber dann im Beichtstuhl, unter vier Augen und nur im Beisein von Gott dem Herrn. Ganz so, wie die Römische Kirche es vorsieht. Und noch etwas: Wir alle sind Sünder, auch Ihr, Hochwürden, denn Ihr seid ein Mensch!«
    Ignacios Finger umklammerten die Tischkante so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. »Ihr gebt also zu, dass Ihr gesündigt habt?«
    »So viel oder so wenig wie jeder andere. Mit Euren Anschuldigungen habe ich nichts zu tun. Ich sag es Euch offen: Ich bin mir keiner Sünde bewusst, aber ich zähle auf die Beichte, die ich mir gern von Zeit zu Zeit abnehmen lasse.«
    Ignacio lehnte sich zurück. Der Bursche hatte sich dazu bekannt, ein Sünder zu sein. Das war wenigstens ein Anfang. »Ihr seid ein Sünder, wie Ihr selbst eben zugegeben habt!«, rief er laut. »Und jedes weitere Wort, mit dem Ihr mir als Vertreter Gottes so hartnäckig Widerstand leistet, ist eine neue Sünde, die Ihr auf Euch ladet. Gebt endlich zu, dass Ihr mit dem Teufel im Bunde seid, und es wird Euch sogleich besser gehen.«
    »Ich bin im katholischen Glauben nach den Ordensregeln der Zisterzienser aufgewachsen. Ich habe nichts abzuschwören.«
    »Es geht um Euch und Eure unsterbliche Seele. Schwört ab, Mann! Ich habe nichts gegen Zisterzienser, aber schwört um Gottes willen ab!«
    »Vielleicht habt Ihr nichts gegen die Zisterzienser, aber gewiss habt Ihr etwas gegen die Franziskaner.«
    »Was soll ich gegen die Franziskaner haben? Ich persönlich habe nichts gegen sie, wenn sie auch in der Auslegung mancher Glaubensfragen im Irrtum sind.«
    »Euer Orden liegt seit über zweihundert Jahren mit den Franziskanern im Streit, und zwar über Dinge, die jeder normal denkende Mensch als Haarspaltereien bezeichnen würde.«
    »Lenkt nicht ab, Mann, es geht hier um Euch.«
    »Es geht um den Geist, in dem diese Verhandlung geführt wird. Ich behaupte, Ihr seid ein typischer Vertreter jenes Kleingeistes, wie er sich im Zwist zwischen Eurem Orden und den Franziskanern widerpiegelt.«
    „Das geht Euch nichts an. Ihr habt soeben bereits zugegeben, dass Ihr ein Sünder seid.«
    »Und hinzugefügt »so viel oder so wenig wie jeder andere«! Ich rede von kleingeistigen Haarspaltereien. Nur aufgrund solcher Denkart stehe ich hier. Ich werde Euch ein Beispiel nennen für Eure geistige Haltung und die Eures Ordens: Es ist das Verbot, das anno 1351 der Dominikaner-Inquisitor Nicolaus Roselli beim Papst erwirkte. Darin wurde dem Franziskanerguardian von Barcelona die Verbreitung einer ganz bestimmten Behauptung untersagt. Es war die Behauptung, dass das von Jesus Christus bei der Passion vergossene Blut seine göttliche Natur verloren habe, weil es auf der Erde geblieben sei.«
    »Ich frage mich, was das mit Eurem Ketzertum zu tun hat, Angeklagter. Aber egal: Diese Maßnahme war nicht nur richtig, sondern auch bitter notwendig. Alles an Jesus Christus ist göttlicher Natur, egal wie, wo und zu welchem Zeitpunkt der Mensch es betrachtet.«
    »Seht Ihr, Ihr redet wie Euer Ordensbruder vor über zweihundert Jahren. Die Franziskaner würden Euch jetzt entgegenhalten, dass das Passionsblut Jesu Christi an vielerlei Orten zur Verehrung durch die Gläubigen ausgestellt ist. Es ist so viel, wie ein einzelner Körper gar nicht enthalten kann. Woher nun soll man wissen, welches echt und welches falsch ist? Welches heilig und welches nicht?«
    »Ich wiederhole: Alles an Jesus Christus ist göttlicher Natur, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Woher wollt Ihr wissen, dass es nicht so ist?«
    »Wo in der Bibel steht, dass es so ist? Nennt mir die Stelle, aus der das hervorgeht.«
    »Ich habe anderes zu tun!«
    »Ihr könnt es nicht! Weil es eine solche Bibelstelle nicht gibt. Wo in der Heiligen Schrift sollte

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