Der Wanderchirurg
»war ich vielleicht sogar zu geschickt, denn je länger das Verhör andauerte, desto gereizter wurde der Inquisitor. Am Ende war er so wütend, dass er »In die Folterkammer mit diesem Ketzer! « schrie und »Dort traktiere man ihm die Stirn mit glühendem Eisen, bis er sich eines Besseren besinnt!« Das Ergebnis kennst du ja.« Der Magister deutete auf das Mal über seinen Augen.
»Ich werde morgen sehr aufpassen müssen«, überlegte Vitus. »Aber vielleicht habe ich Glück. Gegen Ende der Verhandlung habe ich mich auf Abt Gaudeck und andere Brüder von Campodios bezogen und gesagt, sie würden für mich sprechen. Der Inquisitor schien nicht abgeneigt zu sein, diesen Vorschlag aufzugreifen. Vielleicht hat man bereits einen Reiter nach Campodios geschickt.«
»Vergeudete Zeit.« Es war Martinez, der ihr Gespräch unterbrach. »Mit einem Jüngelchen wie dir sollte man nicht viel Federlesens machen. Wippe oder Streckbank, das ist es, was dir mal gut tun würde!«
Der Landsknecht hatte beim Stichwort Campodios aufgehorcht, denn er war vor einiger Zeit dort freundlich aufgenommen worden. Die gewaltigen Essensportionen des dicken, gutmütigen Kochs waren ihm noch in bester Erinnerung. Eine Erinnerung, die einem allerdings verleidet wurde, wenn man bedachte, dass dieser Klugscheißer von dort kam.
»Du bist die fleischgewordene Bosheit!«, fauchte der Magister. Wütend eilte er hinüber zu Martinez und fuchtelte wild mit dem Zeigefinger unter dessen Nase.
»Nimm das augenblicklich zurück!«
»Einen Scheißdreck werde ich!« Martinez versetzte dem Magister einen Stoß, dass er quer durch den Raum wieder zurückflog. Der Landsknecht wollte nachsetzen, doch Vitus ging dazwischen. Er schüttete dem Angreifer den Becher Wasser ins Gesicht. Überrascht hielt Martinez inne. Sein eines Auge zuckte heftig.
»Helft uns!«, schrie der Magister. Habakuk, David und Solomon sprangen hinzu und drehten dem Angreifer die Arme auf den Rücken. Mit vereinten Kräften stießen sie ihn zu Boden. Martinez landete direkt im Exkrementenkübel. »Die Verhandlung ist eröffnet«, sagte Hochwürden Ignacio. Sein Blick schweifte in die Runde. Alle Personen des gestrigen Prozesstags waren wieder erschienen. Und wie am Tag zuvor stand der Angeklagte konzentriert und furchtlos vor ihm. Doch das würde sich in Kürze ändern, so hoffte der Inquisitor.
Er hatte sich, damit die heutige Interrogatio erfolgreicher verliefe, eine Abhandlung des katalanischen Inquisitors Nicolaus Eymericus besorgt, deren Titel Directorium inquisitorum lautete. Dazu den legendären Hexenhammer, ein Handbuch der beiden berühmten Inquisitoren Sprenger und Institoris, das erstmals anno 1489 in der deutschen Stadt Köln veröffentlicht worden war. Es galt auch heute noch als eines der ausführlichsten Werke zur Verfolgung von Hexen und Zaubermeistern. Wie brillant dieses Werk war, konnte man schon daran erkennen, dass es sogar von Seiner Heiligkeit Innozenz VIII. die päpstliche Zustimmung erhalten hatte. Ignacio legte beide Bücher so vor sich, dass er sie jederzeit gut einsehen konnte. Mit ihrer Hilfe würde die Wahrheit schon bald ans Licht treten.
»Pater Alegrio, würdet Ihr so freundlich sein und die letzte Aussage des Angeklagten wiederholen?«, fragte Ignacio aufgeräumt.
»Gerne, Hochwürden.« Alegrio blickte in sein Protokoll. »Die Aussage lautete: »Jeder, den Ihr auf Campodios nach mir befragt, wird Euch gern bezeugen, dass ich kein Ketzer bin. Erkundigt Euch bei dem neuen Abt Gaudeck oder bei Pater Thomas oder bei Bruder Cullus. Ich sage die Wahrheit!««
„Danke«, murmelte Ignacio abwesend. Er war dabei, in den Hexenhammer zu blicken, um sich daraus inspirieren zu lassen. „Darf ich erfahren, ob in der Zwischenzeit nach Campodios geschickt wurde, damit einer der Brüder für mich sprechen kann?«, fragte Vitus.
»Was sagtet Ihr?« Ignacio hatte nicht zugehört. »Von meiner Seite aus ist nichts geschehen«, beantwortete Don Jaime Vitus' Frage, »allerdings war ich der Auffassung, dass Hochwürden etwas in dieser Richtung unternehmen würde.«
»Selbstverständlich habe ich etwas unternommen!«
Ignacio blickte steif zu Alegrio hinüber: »Das braucht Ihr nicht ins Protokoll aufzunehmen.«
»Jawohl, Hochwürden.« Pater Alegrio strich die letzten Passagen mit kratzender Feder durch.
»Und was, wenn ich fragen darf?« Vitus trat einen Schritt näher an den Richtertisch heran.
»Das würde mich auch interessieren«, sagte Don Jaime.
»Nunu,
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