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Der Wandermoerder

Der Wandermoerder

Titel: Der Wandermoerder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Starr
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Beweise« am Tatort zu ersetzen. Er und seine Kollegen entwickelten deshalb ein vernunftmäßiges Vorgehen, das Ordnung in die Ermittlungen bringen sollte. Es bestand aus einer Reihe von einfachen Fragen: Wer ist das Opfer? Wann ist es gestorben? Wie ist es gestorben? Welche physischen Spuren verbinden das Opfer mit dem Täter?
    Am 18. Februar 1896 brachte man Lacassagne einen Koffer in die Leichenhalle. Im Koffer befand sich die Leiche eines Mannes namens Étienne Badoil, der in Embryonalstellung auf der rechten Seite lag. Élise Piot, die einzige Zeugin, behauptete, dass er aufgrund eines tragischen Umstands gestorben sei. Die beiden hatten eine außereheliche Affäre, und am Abend zuvor seien sie in Élises ’ Wohnung gewesen und hätten plötzlich schwere Schritte gehört – die ihres Ehemannes Matillon, der in einem Lebensmittelgeschäft arbeitete. Badoil sei daraufhin in den Koffer neben ihrem Bett gestiegen und habe sich dort zusammengekrümmt. Dann habe sie den Koffer geschlossen und die Verschlüsse zuschnappen lassen. Matillon und sie seien schließlich ein paar Stunden ausgegangen und hätten sich anschließend schlafen gelegt. Erst am nächsten Morgen habe sie sich an Badoil erinnert. Doch als sie den Koffer geöffnet habe, sei er tot gewesen – erstickt.
    Lacassagne entdeckte purpurrote Flecken auf dem Rücken der Leiche und wusste sofort, dass Piot log. Wenn ein Mensch stirbt und der Kreislauf stillsteht, zieht die Schwerkraft das Blut in die Kapillaren, die dem Boden am nächsten sind. Dabei bilden sich purpurrote Flecken unter der Haut, die sogenannten Leichenflecken. Diese Flecken können, solange das Blut noch flüssig ist, wandern, wenn die Leiche kurz nach dem Tod transportiert wird. Nach einigen Stunden bleiben die Flecken jedoch, wo sie sind, weil das Blut ins Gewebe gesickert ist. Badoil musste auf dem Rücken liegend gestorben und acht bis zehn Stunden lang in dieser Position geblieben sein. Danach hatte ihn jemand umgelagert, vielleicht damit seine Leiche in den Koffer passte oder um die Geschichte überzeugender zu machen.
    Als Lacassagne nach Leichenflecken suchte, folgte er den neuen Techniken der Todeszeitbestimmung. Die Ärzte wussten, dass nach dem Tod eine biologische Uhr zu ticken begann. Wenn man deren Lauf zurückverfolgte, konnte man schätzen, wann der Tod in etwa eingetreten war. Lacassagne und seine Kollegen versuchten nun, das Zeitfenster für die Bestimmung schmaler zu machen und das Ganze so zu einem nützlichen Instrument für die Gerichtsmedizin zu machen.
    Leichenflecken schufen ein Zeitfenster von 24 bis 36 Stunden. Sie erscheinen innerhalb einer halben Stunde nach dem Tod, erreichen ihr Maximum nach sechs bis zwölf Stunden und verschwinden allmählich im Laufe des nächsten Tages. Ein weiteres zeitliches Bestimmungsmerkmal war die Leichenstarre, die Muskelversteifung, die drei bis sechs Stunden nach dem Tod beginnt und nach etwa neun Stunden am stärksten ist. Danach beginnen sich die Muskeln wieder zu lockern, und am zweiten bis dritten Tag wird die Leiche schlaff. Die Leichenstarre tritt aber nicht in allen Muskeln gleichzeitig auf, und die damaligen Mediziner studierten das Phänomen genau, um seinen Verlauf zeitlich exakt darstellen zu können. Viele versuchten, präzise Tabellen zu entwickeln, und stützten sich dabei auf die Theorie, dass die Leichenstarre im Kopf beginnt und sich nach unten ausbreitet. Lacassagne war jedoch der Meinung, dass die Starre nicht in Kopfnähe anfängt, sondern in dem Körperteil, der sich in der höchsten Position befindet, und von dort aus nach unten fortschreitet. (Beide Seiten irrten sich: Die Starre beginnt in allen Muskeln zugleich, ist aber in kleinen Muskeln, zum Beispiel im Gesicht, früher erkennbar.)
    Die Leichenstarre ermöglichte nur eine ungefähre Zeitbestimmung. Denn bei warmem Wetter erstarrten die Muskeln schneller als bei kaltem, und bei erschöpften oder kranken Menschen trat die Starre ebenfalls früher auf. Außerdem kannte man ihre typischen Symptome nicht genau.
    Im Laufe der Jahre einigten sich die Mediziner auf drei Hauptindikatoren für die Bestimmung des Todeszeitpunkts: Leichenflecken, Leichenstarre und gesunkene Körpertemperatur. Allerdings waren alle drei Erscheinungen bei der zeitlichen Einordnung nur begrenzt verwendbar, weil sie nur einige Tage lang feststellbar waren. Wenn ältere Leichen gefunden wurden, musste daher nach anderen Lebensformen gesucht werden, die den Körper nach dem Tod

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