Der Wandermoerder
Zivilisten gern für Tötungsdelikte benutzt. Er schrieb auch eine Reihe von Monografien über chemische Veränderungen in der Leber, die seiner Ansicht nach Hinweise darauf lieferten, ob ein Opfer langsam (also eines natürlichen Todes) oder schnell (durch Mord, Unfall oder Selbstmord) gestorben war. Die Leber wandelt Glycogen, eine Stärke, in Glucose, einen einfachen Zucker, um. Dadurch versorgt sie den Körper mit Energie. Lacassagnes Forschungen ließen annehmen, dass das Fehlen von Glycogen in der Leber für einen langsamen Tod sprach, weil das Organ diese Stärke weiter abgebaut hatte, während die übrigen Körperprozesse allmählich zum Erliegen kamen. Wenn noch Glycogen nachweisbar war, hatte ein plötzlicher Tod die Umwandlung jäh beendet. 9
Besonders viele Laborstudien beschäftigten sich mit dem Sauerstoffmangel durch Erhängen, Erwürgen, Ersticken und Ertrinken. Die damit verbundenen Vorgänge waren komplex. Mit seinen Experimenten wies von Hofmann in Wien nach, dass Erhängen und Erwürgen nicht nur die Luftzufuhr abschnitten, sondern oft auch zu Verletzungen führten, zum Beispiel zu Rissen in der Halsschlagader, die ihrerseits die Blutversorgung des Gehirns unterbrachen und den Vagus schädigten, der im Hals nach unten verläuft und viele Körperorgane sowie den Herzschlag steuert und die Luftröhre öffnet. Wie von Hofmann und andere Forscher feststellten, war die Rachenregion so wichtig für bestimmte Körperfunktionen, dass ein heftiger, plötzlicher Druck eine fast sofortige Bewusstlosigkeit hervorrufen konnte. Das erklärte auch, warum so wenige Opfer Vachers schrien.
Da Sauerstoffmangel bei Mord und Selbstmord so oft vorkamen, versuchten die Mediziner herauszufinden, welche Folgen der Tod durch Ersticken hatte. Schaum in der Luftröhre und in den Bronchien – verursacht durch krampfhafte Versuche, unter Wasser zu atmen – sprach für Ertrinken. Die Lungen sahen »aufgebläht … schwammig … teigig« aus. Erhängen führte zu der vom Strick unvermeidlich hervorgerufenen Furche oberhalb des Schilddrüsenknorpels und unterhalb des Kiefers und zu Schäden der darunterliegenden Muskeln (von Hofmann und der Pariser Anatom Auguste Tardieu studierten gemeinsam 299 Erhängte und stellten fest, dass 244 von ihnen diese Merkmale aufwiesen). Fiel ein Erhängter zuerst ein Stück weit nach unten (wie bei Hinrichtungen in den USA), konnten auch Wirbel brechen. Beim Erwürgen mit einer Schlinge hatte die Furche einen anderen Winkel als beim Erhängen: Sie verlief senkrecht zur Wirbelsäule. Erwürgen mit den Händen hinterließ Male, die durch Finger und Fingernägel verursacht wurden, wobei die Positionen der Daumen und der anderen Finger zugleich Hinweise darauf gaben, ob der Täter Rechts- oder Linkshänder war. In den meisten Fällen von Erhängen und Strangulieren fanden die Ärzte auch Emphyseme in den Lungen, dünne, helle Flecken, deren Ursache geplatzte Lungenbläschen waren. Ersticken war eine besonders subtile Ursache des Sauerstoffmangels, weil es meist keine äußeren Hinweise darauf gab. Auguste Tardieu fand aber ein bestimmtes Muster von Lungenschäden, das seiner Meinung nach ein Indiz für Ersticken war. Diese Hämatome, »Tardieu-Flecken« genannt, konnten die Größe eines Stecknadelkopfes, aber auch die einer Erbse haben und waren bisweilen so zahlreich, dass die Lungen aussahen wie Granit. Die Ursache dafür waren geplatzte Kapillaren. 10
Als Lacassagne die Oberfläche von Badoils Leiche genau untersuchte, entdeckte er zahlreiche Anzeichen für einen schnellen, gewaltsamen Tod. Die Augen waren blutunterlaufen, und die Lider waren innen mit winzigen roten Flecken überzogen, Petechien genannt, zu denen es kommt, wenn der Druck in den Blutgefäßen dazu führt, dass kleine Blutmengen aus den Kapillaren sickern. Es war bekannt, dass diese beiden Erscheinungen auftraten, wenn blockierte Atemwege die Todesursache waren, zum Beispiel durch Strangulieren oder Erhängen, nicht jedoch durch allmähliches Ersticken. Lacassagne fand zahlreiche Hämatome am Hals und auf der Brust und einen kleinen Riss in der Haut des Halses, der von einem Fingernagel stammen konnte. An der rechten und linken Schulter, an der rechten und linken Hüfte sowie an der rechten und linken Seite befanden sich symmetrische Schürfwunden, als wäre der Mann lebend in den Koffer gezwängt worden.
Lacassagne setzte die Autopsie fort. Als er den Rachen öffnete, sah er, dass Blut ins Gewebe und in die Muskeln gedrungen
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