Der Wandermoerder
war und die Innenwand der linken Halsschlagader eingerissen war. Das waren Anzeichen für Erwürgen mit den Händen. Die Lungen wiesen keine Tardieu-Flecken auf, die seiner Meinung nach ein Indiz für allmähliches Ersticken gewesen wären. Er bemerkte kleine Emphyseme, die durch die verzweifelten Versuche zu atmen verursacht worden waren.
Dann folgte die chemische Analyse. Lebertests zeigten, dass sowohl Glycogen als auch Glucose vorhanden waren. Badoil war demnach plötzlich gestorben, und die Umwandlung des Zuckers hatte abrupt aufgehört. Ergänzend bat Lacassagne einen Kollegen um eine spektroskopische Analyse des Blutes, um den Sauerstoffgehalt zu bestimmen. Dieses Verfahren – bei dem eine kleine Menge Blut verdünnt und dann mit hellem Licht bestrahlt wird, das durch eine Reihe von Prismen und Linsen fällt – erzeugte ein buntes Spektrum, das je nach Sauerstoffgehalt unterschiedlich aussah. In diesem Fall wies das Spektrum zwei deutliche schwarze Bänder auf, getrennt durch einen Streifen aus grünlich gelbem Licht – ein klarer Hinweis darauf, dass das Blut des Opfers zur Zeit des Todes einen normalen Sauerstoffgehalt aufgewiesen hatte. Mit anderen Worten, das Opfer starb plötzlich. Wäre Badoil in dem Koffer langsam erstickt, hätte das Blut den größten Teil seines Sauerstoffs verloren.
Lacassagne bestätigte seine Ergebnisse, indem er die Geschehnisse am Tatort mit Hunden rekonstruierte, wie es damals in gut ausgerüsteten Labors üblich war. Er ließ drei Hunde strangulieren und dann in einen Koffer legen (zusammen waren sie so schwer wie Badoil). Dann ließ er drei gesunde Hunde in einen Koffer sperren, in dem sie im Laufe von mehreren Stunden erstickten. Mehrere Tests bestätigten seinen Eindruck, dass Badoil erwürgt worden war. Die Hunde, die langsam erstickt waren, hatten Tardieu-Flecken in den Lungen, kein Glycogen in der Leber und wenig Sauerstoff im Blut. Kurz gesagt, sie wiesen all die physiologischen Merkmale auf, die bei Badoil fehlten.
Die Leiche sprach also sozusagen Bände. Im Gegensatz zur Aussage der Zeugin war Badoil nicht in den Koffer gestiegen und auch nicht versehentlich erstickt. Man hatte ihn in den Koffer gezwängt und dort geschlagen und erwürgt. Der Prozess in diesem Fall begann im November. Die Mitglieder der Jury waren zwar davon überzeugt, dass Badoil ermordet worden war, aber sie sahen es nicht als erwiesen an, dass Piot und Matillon die Täter waren (das einzige Indiz, das dafür sprach, waren verdächtige Blutergüsse an ihren Armen). Matillon wurde daher freigesprochen und Piot wegen fahrlässiger Tötung zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Das dürfte für Lacassagne durchaus eine Enttäuschung gewesen sein, aber darüber steht – typisch für ihn – nichts in seinem Bericht. Wir können jedoch annehmen, dass er nicht völlig unzufrieden war, denn immerhin hatten die Beweise ergeben, dass die Zeugin gelogen hatte.
Neun Das Verbrechen in Bénonces
Vacher fühlte sich im Hochland stets am wohlsten. Da er in einem kleinen Dorf geboren worden war, zog es ihn immer wieder in verschlafene Siedlungen an Berghängen und an rauschende Gebirgsbäche. Dort konnte er in den Wiesen und Wäldern herumstreifen, sich hinter Bäumen verbergen und vor neugierigen Blicken schützen. Zwar fand er dort weniger Opfer, um seine Lust zu stillen, aber es gab auch weniger Zeugen. Er konnte hier den Jüngsten und Schwächsten nachstellen und zuschlagen, wenn er wusste, dass sie allein waren.
»Wehe denen, die den Weg dieses schrecklichen Vagabunden kreuzten«, schrieb Albert Sarraut, ein Reporter der La Dépêche de Toulouse , später über Vacher. »Wo immer er hingeht, durchbricht ein Schmerzensschrei die ländliche Stille.«
In den Monaten nach dem Mord an Augustine war Vacher nicht in der Umgebung Dijons geblieben, sondern nach Paris aufgebrochen. Dann hatte er plötzlich die Richtung geändert und war in den folgenden Wochen südwärts marschiert, auf Lyon zu. Er hielt sich von der viel befahrenen Saône fern und zog stattdessen durch die Dörfer im Flusstal. Dann durchquerte er das Rhonetal und wandte sich nach Osten, wo die Ausläufer der Alpen begannen.
Überall, wo er auftauchte, wehte der Hauch des Bösen. Ende Mai überfiel er ein Hausmädchen, das nach einem Besuch bei ihren Eltern nach Hause ging. Sie zerkratzte ihm jedoch das Gesicht und entkam. Einige Wochen später packte er ein anderes Mädchen, das aber ebenfalls fliehen konnte. Ende Juli fanden dann Nachbarn
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