Der Wandermoerder
Vagabundensack und einen großen Knüppel bei sich …
Dies könnte der Mann sein, den die Zeitungen den ›Jack the Ripper des Südostens‹ nennen. Telegrafieren Sie mir, falls er entdeckt wird«, schloss Fourquet.
Als Fourquet seinen Haftbefehl verschickte, erreichte Vacher gerade die Ardèche, ein zerklüftetes Gebiet etwa 130 Kilometer südlich der Stelle, an der er Pierre Laurent ermordet hatte. Im Juli verkaufte ein Schuster ihm für vier Francs einen kleinen schwarzweißen Hund, den Vacher Loulette taufte. Außerdem kaufte er eine zahme Elster, die er an einen Faden band. Am nächsten Tag sahen ihn mehrere Leute vor einer Kneipe mit seinen Tieren und einem Akkordeon betteln.
»Ich wollte wissen, ob er wirklich spielen konnte«, erinnerte sich ein Lehrer namens Vital Vallonre. »Also sagte ich: ›Spiel die Marseillaise ‹, aber er konnte es nicht so richtig.«
Einige Tage später schlief Vacher auf dem Dachboden eines Bauernpaares, das vier Töchter hatte. Er erwiderte deren Güte, indem er für die Mädchen und Nachbarskinder Akkordeon spielte und lustige Gesichter schnitt.
Eine ältere Witwe, Madame Ranc, die er kurz danach traf, fragte ihn, womit er seinen Lebensunterhalt verdiene. »Ich suche Arbeit als Hirte«, antwortete er. »Da haben Sie kein Glück, Monsieur«, erwiderte sie. »Hier gibt es keine Herden.«
Sie erinnerte sich weiter: »Er senkte den Kopf, schaute mich boshaft an und begann auf seinem Akkordeon zu spielen. ›Woher kommen Sie?‹, fragte ich. ›Aus einer Nervenklinik‹, antwortete er. Er sah bedrohlich aus.«
Am 2. August bat er auf dem Bauernhof eines Mannes namens Régis Bac um ein wenig Eintopf. Nachdem er etwas davon gegessen hatte, bot er den Rest seinem Hund an. Als dieser sich abwandte, rief er: »Wenn du das nicht fressen willst, bring ich dich um«, und zerschmetterte dem Tier mit seinem Knüppel den Schädel. Die Elster erlitt das gleiche Schicksal. Bac war »entsetzt« von dieser Brutalität und gab Vacher eine Schaufel, damit er die Tiere begraben konnte. Danach ging Vacher weiter, und sein Blutdurst wuchs.
Fourquet hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass seine Kollegen seinem Schreiben Beachtung schenken würde. Daher war er angenehm überrascht, als immer mehr Antworten eintrafen, obwohl einige unergiebig waren. In den nächsten paar Wochen wurden drei Verdächtige in sein Büro gebracht, die wegen Landstreicherei festgenommen worden waren. Die ersten beiden wiesen einige der körperlichen Merkmale auf, die im Haftbefehl genannt wurden, aber die wichtigsten Zeugen aus Bénonces konnten sie nicht identifizieren. Der Dritte, den die Polizei ihm im August brachte, entsprach dem Täterprofil anfangs so sehr, dass Fourquet »einen Moment der falschen Freude« erlebte. Der Mann hatte die richtige Größe und die passende Haar- und Augenfarbe. Er sah bedrohlich aus und trug einen Sack bei sich. Als die Polizei den Sack öffnete, fand sie zwei sehr scharfe, gerade Rasiermesser und ein riesiges Messer mit Rostflecken. Doch als Fourquet das Messer genauer inspizierte, sah er, dass es in Spanien hergestellt worden war. Dieser Umstand und der Stil der Mütze, die der Verdächtige trug, veranlassten Fourquet zu der Frage, ob der Mann aus dem Baskenland stamme. Der Vagabund bejahte. Er war erst vor einigen Monaten nach Frankreich gekommen und hatte in Spanien gelebt, als Victor Portalier ermordet worden war.
»Haben Sie das Messer dort gekauft?«, fragte Fourquet.
»Ja.«
»Sind das Blutspuren an der Schneide?«
»Ja, es ist sogar Menschenblut.«
»Sie haben also jemanden getötet?«
»Ja, aber das ist nicht Ihre Sache. Ich hatte auf der anderen Seite der Pyrenäen einen Streit mit einem Kerl. Er warf sein Messer nach mir … ich wich ihm aus, hob es auf und tötete ihn damit. Dann behielt ich es zur Erinnerung.«
Fourquet ließ ihn gehen.
Ende August erhielt Fourquet einen Brief vom Untersuchungsrichter in Tournon, einer Stadt an der Rhone, etwa 80 Kilometer südlich von Lyon. Ein Mann befinde sich wegen versuchter Vergewaltigung im örtlichen Gefängnis, der zu Fourquets Beschreibung passe. Fourquet bat seinen Kollegen um ein Foto. Doch der Kollege antwortete, dass der einzige Fotograf der Stadt den Häftling so abstoßend finde, dass er sich weigere, eine Kamera auf sein Gesicht zu richten.
Das Dorf Champis, tief in der Ardèche, war nicht leicht zu erreichen. Von Tournon aus musste man mehrere Stunden lang westwärts durch eine öde Landschaft gehen oder
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