Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wandermoerder

Der Wandermoerder

Titel: Der Wandermoerder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Starr
Vom Netzwerk:
solle der Beamte sich vorbereiten, indem er sich gründlich über den Verdächtigen und die Verbrechen informiere. Das Verhör solle er nicht mit dem Verbrechen beginnen, sondern mit der Jugendzeit des Verdächtigen. Dann solle er allmählich zu der Tat überleiten, »in der Hoffnung, dass [der Verdächtige] anfängt, über sich selbst zu sprechen«. Während des Gesprächs dürfe der vernehmende Beamte nicht bedrohlich auftreten, sondern müsse eine neutrale, fast wohlwollende Haltung einnehmen. Der Verdächtige solle nicht das Gefühl haben, zu einem Geständnis gezwungen zu werden, man müsse ihm vielmehr die Gelegenheit geben, sein Herz auszuschütten. Die Gespräche sollten lang sein und sich mehrfach um dieselben Themen drehen. Auf diese Weise könne der Untersuchungsrichter aus mehreren Versionen derselben Ereignisse die Wahrheit herausfiltern. »Wir machen uns Notizen und legen Pausen ein«, schrieb Gross, »dann lassen wir den Verdächtigen die gleiche Geschichte etwas später erneut erzählen. Dabei achten wir auf Widersprüche, Lücken und Unmögliches.« So gelange man zur Wahrheit, meinte er zusammenfassend, nicht durch Brutalität, sondern durch Vorbereitung, Intelligenz und Geduld.
    Wir wissen nicht, ob Fourquet Gross’ Buch gelesen hatte, aber er verhielt sich offenbar genau nach den Empfehlungen des Professors. Er begann das Verhör ruhig und gelassen und stellte Fragen über eine Zeit lange vor den Morden. Er fragte Vacher, wie er nach der Entlassung aus der Armee gelebt habe.
    Vacher sprach offen über seine Zeit als Soldat und über sein »gebrochenes Herz«, das ihn dazu getrieben habe, auf seine Verlobte und sich zu schießen. Er erzählte von den Heilanstalten in Dole und Saint-Robert und von den Jahren, die er als Landstreicher verbracht hatte. Es sei sehr schwierig gewesen, Arbeit zu finden, weil »die Leute sich über meinen deformierten Mund lustig machten … und weil der Eiter aus meinem Ohr übel roch«. Seine Wanderungen ins Landesinnere erwähnte er ebenfalls.
    »Sie haben also die Departements Rhone, Loire, l’Ain und Savoyen durchquert«, warf Fourquet ein.
    »O ja«, bestätigte Vacher.
    Dann beging Fourquet allerdings einen Fehler. Er wagte sich zu weit vor und kam auf Bénonces zu sprechen. »Sie werden beschuldigt … Victor Portalier getötet zu haben, der dort lebte.«
    Vacher erkannte die Falle und wich ihr aus. Er bestritt, jemals in Bénonces gewesen zu sein, und forderte Fourquet auf, einen Zeugen zu benennen, der ihn dort gesehen habe. Als Fourquet am nächsten Tag einen solchen Zeugen mitbrachte, war dieser zu aufgewühlt, um von Nutzen zu sein.
    Fourquet wusste, dass er zu weit gegangen war. Es gab keine Zeugen für die Morde und keine klaren forensischen Beweise. Dass Vacher die Gegenden besucht hatte, in denen die Verbrechen verübt worden waren, würde nicht genügen. »Alles beruhte auf Vermutungen«, gab Fourquet zu, »und bloße Annahmen waren zu wenig.« Die einzige Möglichkeit, den Täter zu überführen, bestand darin, ein Geständnis aus ihm herauszulocken. Daher musste er Vacher wieder zum Reden bringen.
    Drei Wochen lang »kabbelten sich« die beiden nur, wie Fourquet in seinen Erinnerungen schrieb. Er stellte Fragen, und Vacher wich ihnen aus. Zunehmend verzweifelt, spielte Fourquet schließlich sein »letztes Ass« aus: Er teilte Vacher mit, dass er ihn freilassen werde.
    »Mir ist jetzt klar, dass Sie nicht der Mann sind, den ich suche«, sagte er. »In Tournon hat man einen Fehler gemacht. Sie sind der Vierte, den man mir geschickt hat, und der Vierte, den ich laufen lassen muss.« Er gab an, dass er Vacher in wenigen Tagen nach ein paar letzten Gesprächen entlassen werde. In der Zwischenzeit möge Vacher ihm doch bitte einen Gefallen tun. Denn er sammle Informationen für ein Buch über Vagabunden und spreche daher mit jedem Vagabunden, dem er begegne. Ob Vacher ihm nicht seine Geschichte erzählen wolle?
    Vacher reagierte darauf mit einem zynischen Lächeln. Um seine Aufrichtigkeit zu beweisen, zeigte ihm Fourquet den Stapel von Papieren, den er bereits angehäuft hatte, und erläuterte seine Theorie über die Wanderungen der Landstreicher – dass sie im Winter nach Süden und danach wieder nach Norden gingen und dabei der Erntezeit folgten: Weintrauben, Kastanien, Oliven und Zuckerrüben. »Mit anderen Worten, Sie folgen den gleichen Gesetzen wie die Zugvögel. Ist es nicht so?«
    »Ja, das stimmt.«
    »Sehen Sie, ich will Sie nicht

Weitere Kostenlose Bücher