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Der Weg der gefallenen Sterne: Roman

Der Weg der gefallenen Sterne: Roman

Titel: Der Weg der gefallenen Sterne: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caragh O'Brien , Oliver Plaschka
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Luft schlug ihr entgegen.
    »Nicht!«, rief sie. Sie ließ die Kerze fallen und hastete blind auf allen vieren durch das albtraumhafte Nichts. Die Furcht schnürte ihr die Kehle zu. Ihr Arm verfing sich im Gurt ihrer Tasche, und in ihrer Panik streifte sie sie ab. Es wurde noch kälter, und das Rohr immer steiler.
    Wie wild warf sie sich voran, fast verrückt vor Angst, dann konnte sie vor sich einen grauen Kreis im Dunkeln erkennen.
    »Nicht!«, schrie sie wieder.
    Das Geräusch kam näher. Sie kroch, so schnell sie konnte, den Blick gebannt auf die graue Fläche vor sich gerichtet. Da huschte auf einmal etwas kleines Schwarzes auf sie zu. Die Maus rannte an ihr vorbei, das Wasser dicht auf den Fersen – und im nächsten Moment kroch Gaia knietief durch eiskaltes Wasser.

13 Alte Freunde
    »Nicht!«, schrie sie wieder. »Wartet noch!«
    Panisch kroch sie durch das inzwischen reißende Wasser. Hörte denn niemand sie? Sie schrie abermals. Die graue Fläche vor ihr wurde größer und heller, und dann, gerade als sich die volle Flut des Wassers durch das Rohr ergoss, tat sich auf einmal die Decke über ihr auf, und sie stand mitten in der kalten Sturzflut.
    So gut es ging, hielt sie sich an den Rändern der glitschigen Röhre fest, in der sie nun stand. Sie blinzelte, die Augen voll Wasser, und riss den Mund auf, um Luft zu bekommen, dann schaute sie hoch. Das Wasser kam aus einer weiteren Öffnung über ihr, toste und wirbelte an ihr vorbei und floss dann durch das Rohr, durch das sie gekommen war, ab.
    Sie sprang hoch, packte den oberen Rand der Röhre und stemmte die Füße gegen beide Seiten. Sobald sie die Ellbogen über der Kante hatte, zog sie sich hoch. Dann brach sie auf dem Boden einer großen Halle zusammen.
    Sie befand sich im Wasserwerk. Immer noch zitterten ihr vor Furcht alle Glieder. Wenn Malachai ihr in das Rohr gefolgt wäre, hätte das reißende Wasser ihn ertränkt. Er wäre genauso verloren gewesen wie die kleine Maus. Und wäre sie nur eine Minute später dran gewesen, wäre sie nun ebenfalls tot.
    Sie setzte sich und schaute sich um. Der laute Raum war voller Wasserleitungen, deren Öffnungen über verschiedene Fässer und Rohre geschwenkt werden konnten. Im Augenblick war niemand hier, aber hinter einer Tür war Licht, und wer immer das Wasser angedreht hatte, konnte jeden Moment zurückkommen. Über ihr öffnete sich eine Luke zum nächtlichen Himmel. Einer Eingebung folgend kletterte sie die eisernen Sprossen an der Wand nach oben und entkam durch die Luke aufs Dach. Das Tosen und Rauschen blieb unter ihr zurück.
    Sie schlang die Arme um ihren Leib, rang nach Atem und versuchte sich zu orientieren. Direkt unter ihr gurgelte das Wasser in einer Reihe großer, dunkler Becken, und irgendwo tuckerte eine Pumpe. Hinter der Mauer konnte sie die dunklen Felder erahnen, über die sie gekommen war, und hinter dem Südtor erstreckten sich die nächtlichen Häuser von Wharfton, hinter denen wiederum die Lagerfeuer New Sylums schimmerten, so klein wie Nadelstiche.
    Gaia drehte sich um. Auf dem Bastionsplatz erhob sich der glänzende Obelisk, dahinter die Türme der Bastion und des Gefängnisses.
    Dann schaute sie nach oben. Die eine Hälfte des Himmels war von Wolken verdeckt, doch in der anderen hing friedlich die scharf geschnittene Mondsichel, und die Sterne glitzerten so hell wie eh und je und schienen zum Greifen nah. Sie suchte nach Orion und fand die drei charakteristischen Sterne seines Gürtels tief über dem südöstlichen Horizont. Für Gaia dienten diese Sterne dem Gedenken an ihre Eltern.
    Sie strich sich das nasse Haar aus der Stirn und zog sich die durchnässte Bluse zurecht. Hallo Mom, hallo Dad, dachte sie und sandte ihren stummen Gruß in die Nacht hinaus. Sie vermisste sie, aber sie waren auch bei ihr. Und das fühlte sich gut an.
    Zum ersten Mal seit langer Zeit, zum ersten Mal, seit sie zur Matrarch gewählt worden war, musste sie sich mit niemandem absprechen und konnte unabhängig handeln. Der Geschmack der Freiheit war unvergleichlich süß.
    Dann kam ihr ein unerwarteter Gedanke: Auch für Leon musste sich diese Freiheit gut angefühlt haben. Jedes Mal, wenn er versucht hatte, die Initiative zu ergreifen – sei es, die verschwundenen Scouts zu suchen oder sie in Wharfton zu beschützen – hatte sie ihn zurückgehalten. Noch gestern Abend, als er einen Gegenschlag hatte vorbereiten wollen, hatte sie ihm eine Abfuhr erteilt.
    Kein Wunder, dass er auf eigene Faust los ist, dachte

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