Der Weg der gefallenen Sterne: Roman
ist.«
Alle Gäste bewegten sich zum Ballsaal, und mit einem letzten Fünkchen Hoffnung, Leon doch noch in der Menge zu entdecken, folgte sie.
In der Mitte des Ballsaals hatten die Gäste einen Kreis um eine junge Frau in einem Rollstuhl gebildet, die ein Baby auf dem Schoß hielt. Ihre Wangen waren rosig, ihr Haar ordentlich gescheitelt, und sie trug ein weiches, weißes Kleid. Als sie sich nervös eine dunkle Strähne zurück hinters Ohr schob, konnte man deutlich ihr Armband erkennen, leuchtend blau, mit einem Schimmer Gold darin.
Um sie herum scharten sich die anderen Frauen des Instituts, durch ihre gewölbten Bäuche und die identischen Armbänder leicht zu erkennen. Sie lächelten, manche gelassen, manche erfreut, und alle trugen sie herrliche Kleider und strahlten nur so vor Gesundheit. In ihrer Mitte stand Emily, einen Säugling auf dem Arm und ein Kleinkind zu ihren Füßen. Hätte Gaia nicht mit Sasha gesprochen, sie wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass mindestens die Hälfte dieser werdenden Mütter ihre Entscheidung insgeheim bereute.
Hinter dem Rollstuhl stand eine ruhig lächelnde Frau in einem hellblauen Kleid, die Gaia nach einem Moment als Sephie Frank erkannte – eine der Ärztinnen, die sie in Zelle Q kennengelernt hatte. Zu Sephies Linker stand Bruder Rhodeski Hand in Hand mit einer Frau seines Alters und daneben der Protektor, der gerade eine Rede hielt. Es fiel Gaia auf, dass er die junge Frau nie beim Namen nannte und stattdessen nur schwärmerisch von »unserer kleinen Mutter« sprach. Dann beugte sich ein junger Mann, anscheinend Rhodeskis Schwiegersohn Matt, über sie und schnitt ihr mit einer goldenen Schere das Armband vom Gelenk. Als er es in die Höhe hielt, applaudierte die Menge.
Er reichte das Band Bruder Rhodeski. Dann streckte er die Hände nach dem Baby aus.
Unter ihrer Schminke wurde die Mutter totenblass. Sie blickte auf das Kind hinab, sodass ihr dunkles Haar ihr ins Gesicht fiel und es halb verbarg. Obwohl Matt noch mit ihr redete, saß sie starr, als hätte auf einmal alle Kraft sie verlassen. Der Protektor machte eine Bemerkung, und die Menge lachte nervös. Matt beugte sich tiefer, sodass seine Krawatte schon ihr Knie berührte. Schließlich hob die Mutter ihr Neugeborenes vom Schoß, doch kaum mehr als einen Zentimeter, nicht genug, dass auch nur seine Decke ihren Schoß verließ. Da legte Matt seine Hände um das Kind, nahm es auf und drückte es an seine Brust. Dann trat er einen halben Schritt zurück und senkte sein Gesicht über das Kind. Die Menge wartete geduldig, doch Matt stand einfach nur da und wiegte das kleine Mädchen auf dem Arm, sodass sich der stille und intime Moment auf fast schmerzhafte Weise hinzog.
Eine schwache Brise wehte durch den Saal.
Nach und nach wandten die Menschen den Blick ab. Bruder Rhodeski trat heran, um seinem Sohn die Hand auf den Rücken zu legen, und Matt begab sich stumm in seine Umarmung. Dann drängten sich auch andere um die beiden, die Zuschauer atmeten erleichtert auf und applaudierten ein zweites Mal, diesmal kürzer.
Die Kellner reichten Gläser für einen Toast. Die junge Mutter war in sich zusammengesunken, die Hände kraftlos im Schoß. Sephie Frank schob sie wortlos aus dem Saal.
Gaia wandte sich ab und wollte etwas zu Peter sagen, doch stattdessen stand Bruder Iris vor ihr.
»Sehr berührend, nicht wahr?« Er hob sein Glas und prostete ihr zu.
»Wo ist Peter?«, fragte sie und schaute sich erschrocken um. Überall Gäste, doch von ihren Leuten war niemand mehr zu sehen.
»Ich fürchte, er hat sich verabschiedet.«
Sie wich zurück. »Ich muss Leon finden.«
»Möchtest du denn gar nicht wissen, was Rhodeski von dir will?«
»Das ist mir egal.« Sie schüttelte den Kopf.
»Sogar, wenn es um die Zukunft von New Sylum geht? Eine eigene Wasserversorgung! Es muss etwas unglaublich Wertvolles sein, wenn er bereit ist, so viel zu investieren.«
»Ihr wisst nicht, wovon Ihr redet.« Sie wich vor ihm zurück.
»Ich glaube, du hast es ohnehin schon erraten«, sagte Bruder Iris. »Erinnerst du dich noch an mein Ferkel?«
Gaia stand wie festgefroren. Bruder Iris nickte bedächtig.
»Wir wollen deine Eizellen«, sagte er. »Genaugenommen deine Eierstöcke. Natürlich musste Nicole erst sterben, ehe wir ihre entnehmen konnten – aber vielleicht hast du ja Glück.«
Die Vorstellung war so grotesk, dass Gaia gar nicht recht hinterherkam.
»Ihr könnt mir meine Eierstöcke nicht entnehmen«, sagte sie. Eine
Weitere Kostenlose Bücher