Der Weg der gefallenen Sterne: Roman
war klar, dass er immer noch gegen das Betäubungsmittel in seinem Kreislauf ankämpfte.
Da sahen sie das Flackern von Kerzen hinter der nächsten Ecke.
»Da kommt wer!«, zischte sie.
»Schnell, hier rüber.« Er zog sie in eine Nische und öffnete ein Fenster. Dann schickte er sich an, hinauszuklettern.
»Das ist jetzt nicht dein Ernst«, sagte Gaia.
»Es ist nicht tief. Ich fange dich dann auf.«
»Du hast aber nur einen Arm!«
Sie linste zurück in den Flur. Das Kerzenlicht kam näher, und sie hörte Stimmen.
»Rasch!«, sagte Leon.
Als sie wieder aus dem Fenster schaute, wartete er schon unter ihr, den gesunden Arm ausgestreckt. Das wird nicht viel helfen, dachte sie, kletterte aber rückwärts aus dem Fenster und senkte ihren Körper vorsichtig hinab, den Bauch an der Mauer. Dann ließ sie los, taumelte gegen Leon, und sie gingen beide zu Boden, wobei sie sich den Ellbogen stieß.
»Alles klar?«, fragte er und zog sie wieder auf die Beine.
»Mir ging’s nie besser«, sagte sie und biss die Zähne zusammen vor Schmerz. Dann schaute sie sich um. Sie hatten es bis auf die Straße geschafft.
Leon zog sie weiter voran. Er bewegte sich sehr vorsichtig, und da erst merkte sie, dass er barfuß war. Die Bastion hinter ihnen lag in völligem Dunkel. Gäste, Musiker und Personal drängten ins Freie, während Sicherheitskräfte sich den Weg hinein bahnten. Sie fragte sich, wo Peter und die anderen wohl waren. Die Häuser in der Nachbarschaft waren ebenfalls ohne Licht, doch zumindest konnte sie Leons weiße Kleidung erkennen.
Er atmete immer noch schwer, doch erst eine Straße weiter, in einigem Abstand zu all dem Chaos, verschnaufte er an einer Hauswand.
»Tut mir leid«, sagte er. »Aber ich habe üble Kopfschmerzen.«
»Lass mich mal nach deinem Arm sehen.« Er lehnte den Kopf an die Mauer und hielt ihr den Arm hin. Er hatte sich den Katheter herausgerissen, und Blut rann aus der Vene in seine Armbeuge.
»Du machst dir noch die guten Kleider schmutzig«, scherzte sie, griff in ihre Tasche und fand das Tuch, das der Protektor ihr gegeben hatte. Eilig faltete sie es zusammen und legte es ihm auf die Wunde. »Es ist nicht schlimm«, sagte sie. »Halt das drauf, bis es zu bluten aufhört.« Dann begriff sie, dass das mit seinem gebrochenen Arm nicht so leicht war, und drückte einen Finger auf das weiche Tuch, um ihm zu helfen.
Ungeschickt legte er den gebrochenen Arm um sie, und Gaia reckte den Hals und gab ihm einen Kuss.
»Du bist gekommen, um mich rauszuholen«, stellte er fest.
»Ich konnte nicht klar denken.« Sie drückte ihn an sich. »Was hast du denn erwartet?«
»Wir müssen so schnell wie möglich hier weg. Ich kenne einen Weg nach draußen.«
»Aber bitte nicht durch die Tunnel.« Sie lächelte schwach.
»Du wirst schon sehen.«
Kurz darauf schlichen sie zwischen den Rebstöcken des Weinbergs hindurch und benutzten eine lange Leiter, um die Mauer zu erklimmen, in sicherer Distanz zu den nächsten Türmen und Wehrgängen. Dann zogen sie die Leiter zu sich hoch, um auf der anderen Seite wieder hinabzuklettern. Sie fanden sich auf einem steilen, vertrockneten Hang wieder, der sich vor ihnen in der Finsternis des Ödlands verlor.
Sie waren der Enklave abermals entkommen.
18 Geheimnisse
Gaia erwachte neben Leon, den Kopf an seiner Schulter, sein geschienter Arm auf ihrem Bauch. Als sie sich bewegte, schlug er die Augen auf, ganz nahe bei ihren, und lächelte.
»Wird es immer so schwierig sein, dich mal für mich allein zu haben?«, fragte er.
Lächelnd vergrub sie die Finger in seinem weißen Hemd. »Du bist unmöglich. Was macht der Kopf?«
»Ist ein bisschen besser. Sand im Haar steht dir übrigens.«
Sie richtete sich auf, wobei ihr die Kette beiseite rutschte. Leons linker Ärmel war voller Blut, doch der Einstich von der Infusion war verkrustet. Seine Naht auf der Stirn sah auch in Ordnung aus. Die Sonne trat gerade über den Rand der Senke, in der sie Zuflucht gesucht hatten, doch die westliche Mauer der Enklave einen Kilometer östlich von ihnen war noch nicht mehr als ein dunkelbrauner Schatten auf dem Hügel. Ohne sich aufzusetzen griff Leon nach ihrem Haar und strich Schmutz heraus.
Auch an ihrer Hand klebte noch getrocknetes Blut, und sie fragte sich, ob sie letzte Nacht im Dunkel tatsächlich jemanden umgebracht hatte.
»Ich glaube, ich habe Sephie und Bruder Stoltz, den Pfleger, getötet«, sagte sie. Dann fiel ihr etwas auf. »Ich musste mich gar nicht
Weitere Kostenlose Bücher