Der Weg der Helden
Ihnen nur sagen, dass wir eine große Magie benutzen. Die Männer, die ich engagiere, werden einen Teil der Wahrheit erfahren… nämlich dass zwanzig Jahre im Tal des Steinlöwen verstreichen, während die Welt außerhalb dieses Tals nur zwei Jahreszeiten durchmacht. Ich werde ihnen ebenfalls versprechen, dass sie wegen dieser Magie nicht altern werden. Und jeder einzelne Arbeiter wird den Lohn erhalten, der dem Arbeitslohn von dreißig Jahren entspricht. Jeder von ihnen wird als reicher Mann zurückkehren.«
» Ihr verlangt eine Menge Vertrauen«, sagte Rael. » Sowohl von mir als auch von den Männern, die zwanzig Jahre lang Frondienste leisten werden.«
» Es kann sehr viel schiefgehen«, gab der alte Mann zu. » Aber ich darf nicht scheitern, mein Freund. Ihr habt keine Ahnung, wie wichtig das ist.«
» Ich bin mir sicher, dass Ihr mir das in Eurer eigenen Zeit noch sagen werdet, mein Freund«, sagte Rael und erhob sich, um sich zu verabschieden. » Übrigens, Mirani lässt Euch liebe Grüße ausrichten.«
Anu entspannte sich und lächelte. » Sie ist eine gute Frau… viel zu gut für Euch, fürchte ich.«
» Wer könnte dem widersprechen«, antwortete Rael und erwiderte sein Lächeln. » Sie wird nicht ins Konzil zurückkehren. Sie verbringt ihre Zeit jetzt damit, Keramik zu töpfern und sie zu bemalen.«
» Es wird noch Töpfer geben, wenn wir nur noch eine verblassende Erinnerung sind«, gab Anu zurück.
Kapitel 9
Er wurde der Alte Junge genannt, denn er wurde uralt geboren und mit dem Lauf der Jahreszeiten immer jünger. Seine Weisheit war sehr groß, denn die Hand des Allvaters ruhte auf seiner Schulter. Er kannte die Zahl der Sterne und den Kreis der Welt. Nichts blieb dem Alten Jungen verborgen. Kein Geheimnis der Vergangenheit und auch keines, das bald aufkommen sollte. Eines Tages begann er zu weinen, und die Tränen aus seinen Augen schwollen zu einem schrecklichen Regen an, der das Land überflutete. Die anderen Götter kamen zu ihm und fragten ihn nach dem Grund für seine Tränen. Aber er verriet ihn nicht.
Aus dem Mittagslied der Anajo
Am folgenden Morgen stieg Anu mithilfe seines Lieblings-Akolyten Shevan langsam die drei Treppen zu den Räumen im Turm empor. In die vier Wände waren hohe Bogenfenster eingelassen, und Anu trat an das östliche Fenster. Die Sonne funkelte auf der Mündung des Luan, und von hier aus konnte er am gegenüberliegenden Ufer die Marmortürme von Pagaru sehen.
» Bereut Ihr Eure Entscheidung, Ser?«, erkundigte sich Shevan.
» Ich bedaure vieles«, erwiderte Anu, während er die Stadt am anderen Ufer betrachtete. » Zu schnell erbaut«, sagte er leise.
» Was war zu schnell, Ser?«, wollte Shevan wissen.
» Pagaru war der Brückenkopf, die Festung. Als wir vor sechshundert Jahren hierherkamen, lagen die Stämme miteinander im Krieg, und wir mussten die Stadt rasch errichten, bevor sie begriffen, welche Gefahr wir darstellten. Die Mauern wurden innerhalb von zwei Wochen hochgezogen. Viel zu schnell. Sie sind weder so stark, wie sie sein könnten, noch erfreuen sie das Auge. Hundert Jahre später haben wir Egaru errichtet. Diese Stadt ist weitaus stärker. Die anderen folgten, am Ufer aufgesäumt wie Perlen auf einer Schnur. Boria war lange Zeit meine Lieblingsstadt. Viele Künstler und Poeten haben dort gelebt, vornehme Menschen. Ja, und Philosophen. Ich habe dort an den weißen Stränden viele schöne Abende verbracht, während ich über die Bedeutung des Lebens debattiert habe. Bist du jemals in Boria gewesen?«
» Selbstverständlich, Ser. Ich wurde dort ausgebildet.«
» Ach ja. Das hatte ich vergessen. Wusstest du, dass dies die letzte Stadt ist, die mit Hilfe der Musik erbaut wurde?«
» Ja, Ser. Ihr habt es mir erzählt. Sehr oft.«
» Ich habe Pejkan und Caval niemals besucht. Man hat mir gesagt, diese Städte seien hässlich und abstoßend.«
» Es sind Handelsstädte, Ser, in denen nur wenige Avatar leben. Und, ja, sie sind nicht sonderlich anziehend.«
Anu trat ans westliche Fenster und kniff die Augen gegen die tiefstehende, untergehende Sonne zusammen, welche das Meer blutrot färbte. » Dort liegt die Zukunft, Shevan«, sagte er. » In den unbekannten Ländereien des westlichen Kontinents. Wir haben die Küsten kartographiert, gewiss, haben aber nie das Inland erkundet. Ich fürchte, das war ein Fehler.« Er seufzte. » Wir haben so viele Fehler gemacht.«
Shevan wartete, bis der alte Mann ans südliche Fenster getreten war. Er
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