Der Weg der Helden
deshalb sprechen?«
» Zum Teil, Rael. Würdet Ihr mir einen Schluck Wasser holen?« Der Questor General stand auf und trat an einen schmalen Tisch aus Bronze, der die Form eines Busches mit goldenen Blättern hatte. Auf den Bronzeblättern lag eine lange, rechteckige Scheibe aus blauem Glas, und darauf stand ein irdener Krug mit zwei goldenen Bechern.
Rael lachte leise. » Das Gold sieht neben dem Ton höchst unpassend aus«, meinte er. » Ich werde Euch einen passenderen Krug schicken.«
» Dieser Krug ist passend«, erwiderte Anu und nahm mit zitternder Hand den goldenen Becher entgegen. » Er erinnert mich daran, dass die Quelle allen Lebens aus der einfachen Erde kommt, ganz gleich, wie groß unser Wohlstand auch sein mag.«
» Immer ein Lehrer«, erwiderte Rael liebenswürdig und setzte sich erneut dem alten Mann gegenüber.
» Das ist meine Natur«, stimmte Anu ihm zu.
» Und Ihr seid ein großartiger Lehrer, mein alter Freund. Ohne Euch wäre das Imperium gestorben. Wir hätten auf Eure Lehren hören sollen.«
» Das könnt Ihr auch jetzt noch, Rael. Aber diese Debatte verschieben wir auf einen anderen Tag. Ich möchte, dass Ihr mir eine der Truhen gebt.«
Diese Bitte überraschte Rael. » Zu welchem Zweck?«
» Ich werde eine neue Pyramide bauen, und zwar fast die gleiche wie jene, die ich mit Avatar Primu errichtet habe.«
Rael antwortete nicht. Die Konsequenzen dieses Angebotes waren ungeheuerlich. Eine solche Pyramide würde die Herrschaft der Avatar für die nächsten tausend Jahre sichern. » Wie wollt Ihr das anstellen? Die Musik ist verschwunden. Wie wollt Ihr Zwanzig-Tonnen-Quader schneiden und sie bewegen? Und selbst wenn Ihr einen Weg findet, dies zu erreichen, wie wollt Ihr sie anheben und sie aufeinanderschichten? Das ist unmöglich.«
» Die Musik ist nicht verschwunden, Rael«, widersprach der alte Mann. Er sprach die Worte schlicht und ohne jede Arroganz aus.
» Lasst sie mich hören!«, flüsterte der General.
Anu zog aus der Tasche seines weiten Gewandes eine kleine Flöte. Mühsam erhob er sich aus dem Sessel und stellte sich vor Rael. » Geht auf die Knie und streckt eure rechte Hand aus«, forderte er ihn auf. Rael gehorchte. Anu setzte die Flöte an seine Lippen und ließ eine Folge von Tönen erklingen, so sanft wie ein Herbstwind, der durch das Gras fährt, so weich wie Daunen und so süß wie der erste Vogelruf im Frühling. Einen Augenblick, nur einen winzigen Moment verlor Rael sich in dieser Musik, dann sah er, wie Anu auf seine ausgestreckte Hand trat. Er spannte sich an, weil er erwartete, dass der Fuß des alten Mannes seine Finger zerquetschen und sie in den Boden pressen würde. Aber seine Hand rührte sich nicht, sondern der uralte Questor erhob sich und balancierte auf Raels Handfläche. Die Musik erstarb.
» Erhebt Euch, Rael«, bat ihn Questor Anu. » Hebt mich an die Decke.«
Rael erhob sich und streckte den Arm aus, so leicht, als läge nur eine Feder auf seiner Handfläche. Er spürte überhaupt kein Gewicht vom Körper des alten Mannes. » Jetzt lasst mich wieder herunter«, meinte Anu. » Setzt mich auf meinem Sessel ab.«
Rael senkte die Hand und hielt Anus knochigen Arm fest, während er zusah, wie er sanft in den riesigen Sessel sank.
» Warum habt Ihr uns das nicht gesagt?«, erkundigte er sich.
» Welchen Sinn hätte das gehabt? Ich wollte, dass sich andere Avatar dieses uralte Wissen aneigneten, es beherrschten. Mir beweisen, dass es eine Zukunft für unsere Rasse gibt. Aber niemand ist hervorgetreten. Außer Ro vielleicht, aber er ist viel zu sehr der Vergangenheit verhaftet, um seine Hand nach der Zukunft ausstrecken zu können.«
» Aber Ihr hättet es uns lehren können!«, fuhr Rael hoch, hin- und hergerissen zwischen Ehrfurcht und Verärgerung. » Das waren schwierige Jahre für uns. Mit Eurer Macht hätten wir so viel mehr erreichen können.«
Anu schüttelte den Kopf. » Die Antworten waren immer da, in den Zahlen, in der Mathematik. Ihr begreift immer noch nicht, was ich sage, Rael. Meine mentalen Fähigkeiten haben sich vergrößert, seit ich die Kristalle nicht mehr benutze. Es ist die Sterblichkeit selbst, die uns das Verlangen gibt zu lernen, uns anzupassen, neue Wege in die Zukunft zu suchen. Ohne diese Eigenschaft sind wir auf der Stelle gefangen, wo wir uns befinden, und verlangen immer nur nach mehr von demselben. Also, werdet Ihr mir nun eine Truhe geben?«
» Das werde ich. Aber warum habt Ihr Eure Meinung geändert?
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