Der Weg der Helden
lesen. Die Frau hätte zum Tod durch die Kristalle verurteilt werden müssen. Aber sie hatte goldene Schiffe und Männer erwähnt, die über das Meer kamen, und das faszinierte Ro über alle Maßen.
Er befahl, sie in seine Gemächer zu führen. Es war nur ein kleiner Raum, in dem ein schmaler Tisch und zwei Stühle standen, und als die Wächter sie hereinführten, fiel Ro die Schönheit dieser Frau noch mehr auf. Sie hatte dunkles, glänzendes Haar, ihre Lippen waren voll und einladend. Und in dieser beengten Räumlichkeit roch er die billige Zitronenseife, mit der sie sich heute Morgen gewaschen hatte. Ihm war plötzlich heiß und unbehaglich. Er bat sie, Platz zu nehmen, und trat dann zur Seite, um den Schreibtisch zwischen sich und ihr zu haben.
» Erzähle mir etwas über dich«, sagte er. Sie blickte zu ihm hoch.
» Ihr wollt etwas über die goldenen Schiffe wissen«, antwortete sie. » Sie machen Euch Angst.« Sie zögerte. » Ich mache Euch Angst.«
» Ich habe keine Angst vor dir, Frau«, erwiderte er scharf.
» Doch, habt Ihr. Denn ich erinnere Euch an… an einen Tag in einem großen Park. Mit spielenden Kindern. Ihr haltet die Hand einer wunderschönen Frau, und doch denkt Ihr an… Zahlen… Berechnungen. Sie war Eure Gemahlin.«
» Erzähl mir von den goldenen Schiffen.« Sein Mund war trocken.
» Warum passiert mir das? Ich will, dass es aufhört.«
» Ich werde dir dabei helfen. Aber erzähl mir erst von diesen Schiffen.«
» Sie fahren gerade über das Meer. Böse Männer sind darauf und kommen hierher. Einer hat ein Gesicht wie Glas. Es ist kein echtes Glas. Es schmückt seine Brauen und sein Kinn, und sein Gesicht sieht damit aus wie Kristall. Er ist ein grauenvoller Mann. Er denkt nur an Blut und Tod.«
» Woher kommen diese Leute?«
» Ich will das nicht«, meinte Sofarita. » Ich will keinen von ihnen mehr sehen.«
» Ich muss es wissen«, antwortete Ro. » Das ist wichtig. Kommen sie, um Krieg zu führen?«
» Ich kann nicht in die Zukunft sehen, Herr. Ich sehe nur, was ist und was gewesen ist. Sie sind eine schreckliche Rasse. Sie töten und verstümmeln. Sie begraben Kinder bei lebendigem Leib, als Nahrung für…« Der abwesende Ausdruck kehrte erneut zurück.
» Sieh mich an! Wen füttern sie?«
» Da ist ein Gebäude, mit vier Seiten, die nach oben spitz zulaufen. Es funkelt im Sonnenlicht.«
» Eine Pyramide, ja. Sie füttern eine Pyramide?«
» Ja. Sie ermorden Leute auf ihrer Spitze. Das Blut läuft in Kanäle und dann in das Gebäude. Und die Pyramide ernährt… Nein! Sie füttern nicht die Pyramide selbst, sondern etwas darin. Etwas darin Begrabenes. Etwas… Lebendiges!«
Ro leckte sich die Lippen. Er konnte kaum noch schlucken, so ausgetrocknet waren seine Schleimhäute. » Kannst du in die Pyramide hineinblicken?«
» Nein. Aber irgendetwas lebt darin.«
» Und es nährt sich von Blut?«
Sofarita blinzelte. » Und von Kristallen. Sie werden in dem Blut von Leuten getränkt, die in anderen Städten geopfert werden. Dann werden sie auf die Pyramide getragen. Es gibt dort Öffnungen, die Kristalle werden hineingeschüttet und fallen klappernd hindurch.« Sie verstummte.
Ro wartete einen Moment. » Wie viele Schiffe kommen?«, erkundigte er sich. Sie antwortete nicht. Er wiederholte die Frage, etwas lauter diesmal. Sie zuckte zusammen.
» Möchtet Ihr sie sehen?«, fragte sie ihn plötzlich. » Die Schiffe?«
» Wie meinst du das?«
Sie erhob sich von ihrem Stuhl und ging um den Schreibtisch herum. Dann hielt sie ihm ihre Hand hin. » Ich werde Euch die Schiffe zeigen«, versprach sie. Jetzt war sie ganz nah. Er roch den Duft ihres Haares. Und nahm ihre Hand.
Im selben Moment verlor er sich in einer Explosion aus Farben und hatte das Gefühl, durch die Luft gewirbelt zu werden. Panik umhüllte ihn, doch dann hörte er ihre Stimme, weich und warm, in seinem Kopf, und sie beruhigte ihn. Öffne deine Augen und sieh den Himmel.
Ro gehorchte und fand sich zwischen den Wolken über einem schimmernden Meer schwebend. Er fühlte weder Hitze noch Kälte, konnte auch seinen eigenen Körper nicht sehen, aber ihre Nähe strahlte eine Wärme aus, in der seine Seele zu baden schien.
Dort unten!, flüsterte sie. Kannst du sie sehen?
Dreißig goldene Schiffe segelten über das offene Meer. Sie hatten keine Segel, und doch glitten sie rasch durch die Wellen. Ro sank zu ihnen hinab. Alle Furcht war verflogen, als er über dem ersten Schiff des Konvois schwebte. Es war
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