Der Weg der Könige - Sanderson, B: Weg der Könige - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1
Sonne und trug nur ein Lendentuch. Er schwankte eine geschäftige Straße entlang. Die Menschen machten ihm Platz, nicht weil sie Mitleid mit ihm hatten, sondern weil sie den Schwung
seiner Schritte fürchteten. Einem solchen Mann durfte man nicht in den Weg treten.
Der König ist wie dieser Mann. Er taumelt allein dahin und trägt die Last seines Reiches auf den Schultern. Viele weichen vor ihm zurück, aber nur wenige sind bereit, neben ihn zu treten und ihm beim Tragen des Steins zu helfen. Sie wollen sich seiner Arbeit nicht anschließen, denn dies könnte sie zu einem Leben voller zusätzlicher Lasten verdammen.
Ich habe an jenem Tag meinen Karren verlassen und dem Mann den Stein aufgehoben. Ich glaube, meine Wachen waren peinlich berührt. Ein armer Elender ohne Hemd, der solche Arbeit verrichtet, war leicht zu übersehen, nicht aber ein König, der die Last mit ihm teilt. Vielleicht sollten wir öfter die Plätze tauschen. Wenn gesehen wird, wie ein König die Last des Ärmsten aller Männer trägt, wird es vielleicht auch jene geben, die ihm mit seiner eigenen Last helfen, die so unsichtbar, aber auch so beängstigend ist.
Dalinar war schockiert, dass er sich Wort für Wort an die Stelle erinnern konnte, obwohl das eigentlich gar nicht hätte möglich sein dürfen. Auf der Suche nach der Bedeutung hinter Gavilars letzten Worten hatte er während der vergangenen Monate den Lesungen aus diesem Buch fast an jedem Tag gelauscht.
Er war enttäuscht gewesen, als er herausgefunden hatte, dass das Zitat, das Gavilar hinterlassen hatte, keine klare und unmissverständliche Bedeutung besaß. Dennoch hatte er weiter zugehört, obwohl er sein Interesse an dem Geschriebenen im Zaum zu halten versuchte. Das Buch hatte keinen guten Ruf, was nicht nur daran lag, dass es im Zusammenhang mit den Verlorenen Strahlenden stand. Die Geschichten über einen König, der die Arbeit eines einfachen Untertanen verrichtete, waren dabei noch die am wenigsten beunruhigenden Passagen. An anderen Stellen hieß es klar und deutlich, dass die Hellaugen unter den Dunkelaugen stünden. Dies widersprach aber den Vorin-Lehren.
Ja, es war das Beste, darüber zu schweigen. Dalinar hatte die Wahrheit gesagt, als er Adolin mitgeteilt hatte, es interessiere ihn nicht, was die Leute über ihn redeten. Aber wenn die Gerüchte seine Fähigkeit, Elhokar zu schützen, beeinträchtigten, dann wurden sie gefährlich. Also musste er vorsichtig sein.
Er wendete sein Reittier, galoppierte auf die Brücke und nickte den Brückenmännern dankbar zu. Sie bildeten den untersten Rang in der Armee, und dennoch trugen sie die Lasten der Könige.
16
KOKONS
SIEBENEINHALB JAHRE FRÜHER
E r hat vor, mich nach Kharbranth zu schicken«, sagte Kal von seinem Felsen aus. »Ich soll Chirurg werden.«
»Was, wirklich ?«, fragte Laral, als sie am Rande des Felsens vor ihm entlangschritt. Ihr schwarzes Haar war von goldenen Strähnen durchzogen. Sie trug es lang, und es flatterte hinter ihr in einem Windstoß, während sie die Hände ausstreckte und balancierte.
Ihr Haar war unverwechselbar. Aber das galt natürlich noch mehr für ihre Augen. Sie waren von einem hellen, blassen Grün – so anders als das Braun und Schwarz der anderen Einwohner. Es war tatsächlich etwas ganz anderes, ein Hellauge zu sein.
»Ja, wirklich«, sagte Kal und ächzte. »Er spricht schon seit einigen Jahren davon.«
»Und du hast es mir bis jetzt noch nicht gesagt?«
Kal zuckte die Achseln. Er und Laral befanden sich auf einem niedrigen Felskamm östlich von Herdstein. Sein jüngerer Bruder Tien durchstöberte die Steine am Fuß der Erhebung. Rechts von Kal erstreckte sich eine Reihe von wellenförmigen niedrigen Hügeln nach Westen. Sie waren mit Lavis-Polypen
gesprenkelt; es handelte sich um eine Anpflanzung, die bald erntereif sein würde.
Er fühlte sich seltsam traurig, als er über diese Hügel blickte, in denen so viele Menschen arbeiteten. Die dunkelbraunen Polypen würden bald wie Melonen aussehen, die aber mit Korn gefüllt waren. Nach dem Trocknen würde das Korn den gesamten Ort und die Armeen des Großprinzen ernähren. Die Feuerer, die durch die Stadt gingen, erklärten immer wieder geduldig, dass die Berufung zum Bauern eine sehr ehrenwerte war, die nur knapp hinter einer Berufung zum Soldaten stand. Kals Vater sagte heimlich, dass er eine wesentlich größere Ehre darin erblicke, das Reich zu ernähren, als in sinnlosen Kriegen zu sterben.
»Kal?«, fragte Laral
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