Der Weg der Könige - Sanderson, B: Weg der Könige - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1
noch nicht gefragt, was das alles soll?«, bemerkte Dalinar mit kalter Stimme und festem Blick. »Ich habe mir jeden Punkt, den du angesprochen hast, Dutzende Male überlegt.«
»Dann solltest du vielleicht noch ein wenig länger darüber nachdenken.«
»Ich muss mir selbst vertrauen. Die Visionen versuchen mir etwas Wichtiges mitzuteilen. Ich kann das weder beweisen, noch kann ich erklären, woher ich das weiß. Aber es ist … wahr.«
»Natürlich glaubst du das«, sagte Adolin verzweifelt. »Verstehst du es denn nicht? Du redest dir diese Gefühle nur ein. Die Menschen sind sehr geschickt darin, bloß das zu sehen,
was sie sehen wollen! Nimm zum Beispiel den König. Er entdeckt in jedem Schatten einen Mörder, und ein ausgefranster Sattelgurt wird zu einer Verschwörung gegen sein Leben.«
Dalinar schwieg wieder.
»Manchmal sind die einfachen Antworten die richtigen, Vater!«, sagte Adolin. »Der Gurt des Königs war einfach verschlissen. Und du … du siehst Dinge, die nicht da sind. Es tut mir leid.«
Sie sahen einander in die Augen. Adolin wandte den Blick nicht ab. Er würde jetzt nicht wegschauen.
Schließlich drehte Dalinar den Kopf. »Lass mich bitte allein.«
»In Ordnung. Na gut. Aber ich will, dass du darüber nachdenkst. Ich will, dass du …«
»Adolin. Geh. «
Adolin biss die Zähne zusammen, gehorchte aber und stapfte davon. Das musste einmal gesagt werden, dachte er, als er die Galerie verließ.
Aber er fühlte sich elend, weil er es gewesen war, der dies alles gesagt hatte.
25
DER SCHLÄCHTER
SIEBEN JAHRE FRÜHER
D as ist nich’ recht, was sie da machen«, sagte die Stimme einer Frau. »Man soll die Leute nich’ aufschneiden und in das reingucken, was der Allmächtige aus gutem Grund verborgen hat.«
Kal erstarrte. Er stand in einer Gasse zwischen zwei Häusern in Herdstein. Die Weinung stand bevor, und die Großstürme kamen allmählich seltener. Es war für die Pflanzen zu kalt, um diese Ruhepause nutzen zu können; die Steinknospen verbrachten die Winterwochen eingerollt in ihren Schalen. Die meisten Kreaturen hielten Winterschlaf und warteten auf die Rückkehr der Wärme. Glücklicherweise dauerten die Jahreszeiten immer nur wenige Wochen. Unvorhersehbar. So war das nun einmal auf dieser Welt. Nur nach dem Tod gab es Beständigkeit. Das zumindest lehrten die Feuerer.
Kal trug einen dicken, ausgepolsterten Mantel aus Bruchbaumwolle. Dieses Material kratzte zwar, wärmte aber, und es war in einem tiefen Braunton gefärbt. Er hatte die Kapuze über den Kopf gezogen und die Hände in die Taschen gesteckt. Rechts von ihm befand sich die Bäckerei. Die Familie
schlief in einem dreieckigen Kriechkeller im hinteren Teil, und der vordere Bereich diente als Laden. Links von Kal lag eine der Tavernen von Herdstein, in der Lavisbier und Schlammbier während der Winterwochen in Strömen flossen.
Er hörte zwei Frauen, die vor seinem Blick verborgen waren und sich nicht weit von ihm entfernt unterhielten.
»Du weißt, dass er den alten Stadtherrn bestohlen hat«, sagte die eine Frauenstimme gedämpft. »Einen ganzen Pokal voller Kugeln. Der Arzt sagt, sie sind ein Geschenk, aber er war als Einziger dabei, als der Stadtherr gestorben ist.«
»Ich habe aber gehört, dass es da auch ein Schriftstück gibt«, sagte die andere Stimme.
»Ein paar Glyphen. Kein richtiges Testament. Und welche Hand hat diese Glyphen wohl geschrieben? Die des Arztes höchstpersönlich! Das war nicht recht, dass der Stadtherr keine Frau zum Schreiben dabeihatte. Ich sag dir, das ist nicht recht, was die da machen.«
Kal biss die Zähne zusammen und war schon versucht, vorzutreten und den Frauen zu zeigen, dass er ihnen zugehört hatte. Aber sein Vater würde das nicht billigen. Lirin wollte nie einen Streit heraufbeschwören oder für Verlegenheit sorgen.
Doch das war die Ansicht seines Vaters. Kal kam aus der Gasse hervor und ging an Nanha Terith und Nanha Relina vorbei, die vor der Bäckerei ihr Schwätzchen hielten. Terith, eine fette Frau mit dunklem Lockenhaar, war die Gemahlin des Bäckers. Gerade wollte sie zu einer weiteren Verleumdung ansetzen. Kal schenkte ihr einen scharfen Blick, und in ihren braunen Augen zeigte sich ganz kurz ein Unbehagen, das ihm eine gewisse Befriedigung verschaffte.
Vorsichtig überquerte Kal den Platz und achtete dabei vor allem auf tückische Eisflächen. Die Tür zur Bäckerei wurde hinter ihm zugeschlagen; die beiden Frauen hatten sich in das Innere des Hauses
Weitere Kostenlose Bücher