Der Weg der Könige - Sanderson, B: Weg der Könige - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1
vertreiben.
Er versuchte die Augen zu öffnen. Das eine weigerte sich; Blut aus einer Wunde an der Wange war heruntergelaufen, während er bewusstlos dagelegen hatte, und hatte ihm das Auge verklebt. Die Sonne war weitergezogen. Stunden waren vergangen. Er ächzte, setzte sich auf und rieb sich das getrocknete Blut aus dem Auge. Der Boden um ihn herum war mit Leichen übersät. Die Luft stank nach Blut und Schlimmerem.
Einige armselige Brückenmänner schüttelten jeden am Boden liegenden Körper durch, suchten nach Lebenszeichen, zerrten Westen und Sandalen von den Leichnamen und scheuchten die Kremlinge weg, die Aasfresser waren. Kaladin hätten die Männer nie überprüft. Er besaß ja nichts, was sie ihm hätten abnehmen können. Sie hätten ihn bei den Leichen liegen gelassen, er wäre für immer auf diesem Plateau gestrandet.
Kaladins Windsprengsel flatterte durch die Luft über ihm und bewegte sich ängstlich hin und her. Er rieb sich das Kinn genau dort, wo es ihn geschlagen hatte. Große Spengsel wie dieses konnten kleine Gegenstände bewegen und winzige Energiestiche versetzen. Das machte sie nur noch unangenehmer.
Aber diesmal hatte es Kaladin vermutlich das Leben gerettet. Er ächzte auf, als er bemerkte, an wie vielen Stellen sein Körper schmerzte. »Hast du eigentlich einen Namen, Geist?«, fragte er, während er sich auf die wunden Füße kämpfte.
Auf dem Plateau, zu dem die Armee hinübergewechselt war, durchsuchten die Soldaten die Körper der toten Parschendi und schienen nach etwas Besonderem Ausschau zu halten. Wollen sie vielleicht deren Ausrüstung an sich bringen? Offenbar hatte Sadeas’ Streitmacht gewonnen. Zumindest schien es keine lebenden Parschendi mehr zu geben. Sie waren entweder getötet worden oder geflohen.
Das Plateau, auf dem sie gekämpft hatten, schien genauso zu sein wie die anderen, die sie überquert hatten. Der einzige
Unterschied bestand in einem großen Haufen von … etwas in der Mitte der Ebene. Es sah aus wie eine gewaltige Steinknospe oder wie ein Kokon oder eine Schale und war etwa zwanzig Fuß hoch. Die eine Seite war aufgehackt worden, so dass die schleimigen Innereien entblößt wurden. Bei dem ursprünglichen Angriff hatte er dieses Ding gar nicht bemerkt, die Bogenschützen hatten seine ganze Aufmerksamkeit beansprucht.
»Ein Name«, sagte das Windsprengsel mit ferner Stimme. »Ja, ich habe einen Namen.« Sie schien überrascht, als sie Kaladin ansah. »Warum habe ich einen Namen?«
»Woher soll ich das wissen?«, fragte Kaladin und zwang sich zur Bewegung. Seine Füße brannten vor Schmerz. Er konnte kaum humpeln.
Die Brückenmänner in seiner Nähe sahen ihn überrascht an, aber er beachtete sie nicht, sondern humpelte quer über das Plateau, bis er den Leichnam eines Brückenmannes gefunden hatte, der noch Weste und Schuhe trug. Es war der Ledergesichtige, der so freundlich zu ihm gewesen war; ein Pfeil stach aus seinem Nacken hervor. Kaladin warf nicht mal einen Blick auf die entsetzten Augen, die hoch in den Himmel starrten, sondern nahm dem Mann einfach die Kleidung ab: eine Lederweste, Ledersandalen, ein geknöpftes blutbespritztes Hemd. Kaladin ekelte sich vor sich selbst, aber er durfte nicht darauf rechnen, dass Gaz ihm Kleidung gab.
Kaladin setzte sich und benutzte die saubereren Teile des Hemdes dazu, seine behelfsmäßigen Bandagen zu erneuern; dann zog er die Weste und die Sandalen an und versuchte, sich nicht allzu viel zu bewegen. Nun blies ein Wind, der den Gestank des Blutes und den Lärm der Soldaten mitnahm, die einander zuriefen. Die Kavallerie formierte sich bereits, als wollte sie so schnell wie möglich zurückkehren.
»Ein Name«, sagte das Windsprengsel, schritt durch die Luft und blieb neben seinem Gesicht stehen. Es hatte wieder die
Gestalt einer jungen Frau angenommen, mit fließendem Rock und zarten Füßen. »Sylphrena.«
»Sylphrena«, wiederholte Kaladin und band sich die Sandalen um.
»Syl«, sagte der Geist und hielt den Kopf schräg. »Das ist lustig. Dann habe ich wohl sogar einen Spitznamen.«
»Herzlichen Glückwunsch.« Kaladin erhob sich schwankend.
Neben ihm stand Gaz. Er hatte die Hände in die Hüften gestemmt und zeigte zuerst auf Kaladin und dann auf die Brücke.
»Du machst wohl Scherze«, sagte Kaladin und sah sich die Überreste der Mannschaft an, die sich um die Brücke versammelt hatte. Es war weniger als die Hälfte er ursprünglichen Anzahl übrig geblieben.
»Entweder tragen oder
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