Der Weg der Könige - Sanderson, B: Weg der Könige - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1
Lesen all das beigebracht, was mir möglich war, und die Lücken ausgefüllt, indem ich mir meine eigene angeborene Neugier zunutze machte. Aber ich werde niemals in der Lage sein, mein Wissen mit jemandem zu messen, der oder die den Vorzug einer förmlichen – und kostspieligen – Erziehung genossen hat.
Warum ist dies ein Argument dafür, dass Ihr mich aufnehmen solltet? Weil mich alles, was ich gelernt habe, große persönliche Anstrengungen gekostet hat. Was anderen geschenkt wurde, musste ich mir selbst erjagen. Ich glaube, dass deshalb meine Ausbildung – so eingeschränkt sie auch sein mag – einen besonderen Wert besitzt. Ich respektiere Eure Entscheidungen, aber ich bitte Euch trotzdem, sie in diesem einen Fall noch einmal zu überdenken. Was hättet Ihr lieber? Ein Mündel, das in der Lage ist, die richtigen Antworten zu geben, weil eine überbezahlte Lehrerin sie ihr eingebleut hat, oder eines, das für alles, was es gelernt hat, kämpfen musste?
Ich versichere Euch, dass jemand wie ich Eure Lehren weitaus mehr schätzen wird als alle anderen.
Sie hob ihren Pinsel. Nun, da sie darüber nachdachte, hatte sie den Eindruck, dass ihre Argumente nicht stichhaltig waren. Sie stellte ihre Unwissenheit zur Schau und erwartete trotzdem, dass Jasnah sie willkommen hieß? Dennoch hatte sie den Eindruck, dass es richtig so war, obwohl der Brief eine große Lüge darstellte. Eine Lüge, die auf Wahrheiten aufgebaut war. Sie war nicht hier, um an Jasnahs Weisheiten teilzuhaben. Sie war als Diebin gekommen.
Das versetzte ihr einen Stich des Schuldbewusstseins, und beinahe hätte sie das Blatt in die Hand genommen und es zerknittert. Aber dann erstarrte sie, als sie Schritte auf dem Gang hinter der Loge hörte. Sie sprang auf die Beine, drehte sich rasch um und hielt die Schutzhand vor die Brust. Sie suchte
nach Worten, die Jasnah Kholin ihre Anwesenheit in diesem Alkoven erklären konnten.
Licht und Schatten huschten durch den Korridor, dann blickte eine Gestalt zögernd in den Alkoven. In ihrer Hand befand sich eine einzelne weiße Kugel, die Licht spendete. Es war nicht Jasnah. Sondern ein Mann Anfang zwanzig, der eine einfache graue Robe trug. Ein Feuerer. Schallan entspannte sich.
Der junge Mann bemerkte sie. Er hatte ein schmales Gesicht und durchdringende blaue Augen. Sein Bart war kurz und viereckig geschoren, der Kopf kahl. Er sprach mit kultivierter Stimme. »Ah, entschuldigt mich, Hellheit. Ich war der Meinung, dies hier sei die Loge von Jasnah Kholin.«
»Das ist sie auch«, erwiderte Schallan.
»Oh. Wartet Ihr auch auf sie?«
»Ja.«
»Würde es Euch viel ausmachen, wenn ich gemeinsam mit Euch warte?« Er hatte einen schwachen herdazianischen Akzent.
»Selbstverständlich nicht, Feuerer.« Sie neigte ehrerbietig den Kopf, sammelte hastig ihre Sachen ein und machte ihm den Stuhl frei.
»Ich kann Euren Stuhl nicht nehmen, Hellheit! Ich werde mir einen anderen holen.«
Protestierend hob sie die Hand, aber er hatte sich schon zurückgezogen. Wenige Augenblicke später kehrte er mit einem Stuhl aus einem anderen Alkoven zurück. Er war groß und schlank und recht hübsch, wie sie mit leichtem Unbehagen feststellte. Ihrem Vater hatten drei Feuerer gehört, und sie alle waren ältere Männer gewesen. Sie waren auf seinen Ländereien umhergereist, hatten sich um die Einwohner gekümmert und ihnen dabei geholfen, Punkte bei ihren Glorien und Berufungen zu erlangen. Ihre Gesichter befanden sich in Schallans Porträtsammlung.
Der Feuerer stellte seinen Stuhl ab. Er zögerte, bevor er sich setzte, und warf einen Blick auf den Tisch. »Na so etwas«, sagte er überrascht.
Einen Moment lang glaubte Schallan, er läse ihren Brief, und sie verspürte ein Anbranden unbegreiflicher Panik. Doch der Feuerer betrachtete nur die drei Zeichnungen, die auf dem Tisch lagen und auf ihren Firnisüberzug warteten.
»Habt Ihr das gezeichnet, Hellheit?«, fragte er.
»Ja, Feuerer«, antwortete Schallan und senkte den Blick.
»Es besteht kein Grund für solche Förmlichkeiten!«, meinte der Feuerer, beugte sich vor und richtete seine Brille, während er ihr Werk betrachtete. »Bitte, ich bin Bruder Kabsal, oder einfach nur Kabsal. Das ist wirklich großartig. Und wer seid Ihr?«
»Schallan Davar.«
»Bei Vedeledevs goldenen Schlüsseln, Hellheit!«, sagte Bruder Kabsal und setzte sich. »Hat Jasnah Kholin Euch das Zeichnen beigebracht?«
»Nein, Feuerer«, sagte sie. Noch hatte sie sich nicht gesetzt.
»Ihr seid
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