Der Weg der Könige - Sanderson, B: Weg der Könige - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1
Kharbranth schicken, wenn du sechzehn bist, damit du dort eine Ausbildung erhältst, und zwar durch richtige Chirurgen.«
Kal spürte einen Stich der Erregung. Kharbranth? Es lag doch in einem ganz anderen Königreich! Kals Vater war einmal als Kurier dorthin gereist, aber er war dort nicht zum Arzt ausgebildet worden. Er hatte beim alten Vathe in Schorsebrun, der nächstgrößeren Stadt, gelernt.
»Dir haben die Herolde höchstpersönlich eine Gabe verliehen«, sagte Lirin und legte Kal die Hand auf die Schulter. »Du könntest ein zehnmal besserer Arzt sein als ich. Träume doch nicht die kleinen Träume der anderen. Unsere Ahnen haben uns durch Geld und Arbeit in den zweiten Nahn gebracht, so dass wir die volle Bürgerschaft und das Recht zum Reisen erlangen können. Verschwende das nicht durch Töten.«
Kal zögerte, musste aber bald feststellen, dass er nickte.
11
TROPFEN
»Drei von sechzehn herrschten, doch nun regiert der Gebrochene.«
Gesammelt: Chachahah 1173, vierundachtzig Sekunden vor dem Tod. Person: ein Beutelschneider mit Schwindsucht, teils von irialischer Abstammung.
E ndlich ließ der Großsturm nach. Es war in der Abenddämmerung des Tages, an dem der Junge gestorben war und Syl Kaladin verlassen hatte. Er streifte sich seine Sandalen über – es waren noch immer jene, die er dem Ledergesichtigen am ersten Tag abgenommen hatte – und stand auf. Er ging durch die überfüllte Baracke.
Es gab hier keine Betten, sondern nur ein dünnes Laken für jeden Brückenmann. Man musste sich entscheiden, ob man es als Kissen oder zum Wärmen benutzen wollte. Entweder man fror oder bekam Kopfschmerzen. Das war das Los der Brückenmänner, aber einige von ihnen hatten noch eine dritte Möglichkeit entdeckt. Sie wanden sich das Laken um den Kopf, damit sie nichts mehr sahen, hörten und rochen. So versteckten sie sich vor der Welt.
Aber die Welt fand sie immer wieder. Sie war viel zu geschickt in diesem Spiel.
Draußen ging der Regen in Strömen nieder, der Wind blies noch heftig. Blitze erhellten den westlichen Horizont, auf den das Zentrum des Sturms zutrieb. Es war etwa eine Stunde, bevor er nachließ, und somit der frühestmögliche Zeitpunkt, in einem Großsturm hinauszugehen.
Eigentlich ging man in einem Großsturm nie nach draußen. Aber jetzt konnte man es zumindest tun, ohne gleich Leib und Leben aufs Spiel zu setzen. Die Blitze waren abgezogen und der Wind nicht mehr ganz so schrecklich.
Er ging über den dämmerigen Holzplatz und machte einen Buckel vor dem Wind. Wie Knochen in einem Weißdornnest lagen die Zweige verstreut umher. Blätter waren durch die Wucht des Sturmes an die aufgerauten Wände der Baracken geklebt worden. Kaladin tappte durch kalte Pfützen, in denen seine Füße taub wurden. Das fühlte sich gut an, denn sie waren vom Brückenlauf vorhin noch ganz wund.
Wogen aus eisigem Regen peitschten gegen ihn, benässten seine Haare, tropften ihm am Gesicht herunter bis in den zerzausten Bart. Er hasste es, einen Bart zu tragen, und insbesondere hasste er das Kitzeln der Haare in den Mundwinkeln. Bärte waren wie Axthundjunge. Jedes Kind wollte eines haben, und erst später wurde ihnen klar, wie entnervend sie waren.
»Ein kleiner Spaziergang, Eure Herrschaft?«, fragte eine Stimme.
Kaladin schaute auf und sah, wie sich Gaz in den Raum zwischen zwei Baracken kauerte. Warum war er im Regen draußen?
Ah. Gaz hatte einen kleinen Metalleimer an der windabgewandten Seite einer der Baracken befestigt: Ein leichtes Glimmen drang daraus hervor. Er ließ seine Kugeln im Sturm und war früh herausgekommen, weil er sie wieder einsammeln wollte.
Das war nicht ungefährlich. Selbst ein gut geschützter Eimer konnte losgerissen werden. Einige Leute glaubten, dass die Schatten der Verlorenen Strahlenden die Stürme heimsuchten
und die Kugeln stahlen. Vielleicht stimmte das auch. Aber während seiner Zeit in der Armee hatte Kaladin mehr als einen Mann gekannt, der verletzt worden war, während er bei Sturm nach Kugeln gesucht hatte. Zweifellos gründete sich dieser Aberglaube in Dieben, die sehr weltlich gesonnen waren.
Es gab ungefährlichere Wege, Kugeln aufzuladen. Geldwechsler tauschten matt gewordene Kugeln gegen aufgeladene ein. Oder man bezahlte dafür, dass sie die eigenen an gut gesicherten Orten aufluden.
»Was tust du hier?«, wollte Gaz wissen. Der kleine, einäugige Mann drückte den Eimer gegen seine Brust. »Ich werde dich anbinden lassen, wenn du irgendjemandes Kugeln
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