Der Weg der Könige - Sanderson, B: Weg der Könige - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1
begonnen und Kals Mutter Hesina als Assistentin genommen.
Lirin ging zur Seite des Zimmers und holte einige kleine Flaschen mit klaren Flüssigkeiten von dort. Er war nicht gerade groß und auch noch nicht alt, verlor aber bereits die Haare. Heute trug er seine Brille, die er als das kostbarste Geschenk bezeichnete, das er jemals erhalten hatte. Er setzte sie nur bei chirurgischen Eingriffen auf, denn sie war zu wertvoll, um andauernd getragen zu werden. Was sollte er zum Beispiel tun, wenn sie zerkratzte oder gar zerbrach? Herdstein war zwar ein großer Ort, aber seine abgeschiedene Lage im nördlichen Alethkar machte es doch schwierig, neue Gläser zu bekommen.
Der Raum war sauber und aufgeräumt, die Regale und der Tisch wurden jeden Morgen abgewaschen, alles befand sich
an seinem Platz. Lirin sagte, dass man eine Menge über einen Menschen erfuhr, wenn man seinen Arbeitsplatz sah. War er schlampig oder ordentlich? Achtete er seine Werkzeuge oder ließ er sie herumliegen? Die einzige Uhr des Ortes stand hier in einem der Regale. Das kleine Gerät trug einen einzigen Zeiger in der Mitte und einen glühenden Rauchstein im Innern. Er musste stets aufgeladen sein, damit er die Zeit richtig anzeigte. Niemandem im Ort waren die Minuten und Stunden so wichtig wie Lirin.
Kal zog sich einen Schemel heran und stellte sich darauf, damit er einen besseren Blick erhielt. Bald würde er keinen Schemel mehr brauchen, denn er wurde jeden Tag etwas größer. Er betrachtete Sanis Hand. Bald wird es ihr wieder gutgehen, sagte er zu sich selbst, so wie es ihm sein Vater beigebracht hatte. Ein Chirurg muss ruhig sein. Mit Sorgen verschwendet man nur seine Zeit.
Es war schwer, diesen Rat zu befolgen.
»Hände«, sagte Lirin, während er seine Werkzeuge zusammensuchte.
Kal seufzte, hüpfte vom Schemel und eilte zu der Schüssel mit warmem Seifenwasser hinüber, die neben der Tür stand. »Warum ist das so wichtig?« Er wollte sich endlich an die Arbeit machen und Sani helfen.
»Die Weisheit der Herolde«, sagte Lirin geistesabwesend und wiederholte eine Lektion, die er seinem Jungen schon oft gegeben hatte. »Todessprengsel und Fäulnissprengsel hassen Wasser. Es hält sie fern.«
»Hammi sagt, das ist dumm«, meinte Kal. »Er sagt, die Todessprengsel sind ziemlich gut im Töten, warum also sollten sie Angst vor Wasser haben?«
»Die Weisheit der Herolde übersteigt unser Begreifen.«
Kal zog eine Grimasse. »Aber es sind Dämonen , Vater. Das hat der Feuerer gesagt, der im letzten Frühling hier vorbeigekommen ist und uns Unterricht gegeben hat.«
»Er hat von den Strahlenden gesprochen«, erwiderte Lirin scharf. »Da bringst du etwas durcheinander.«
Kal seufzte.
»Die Herolde wurden ausgesandt, um die Menschheit zu lehren«, fuhr Lirin fort. »Sie haben uns gegen die Bringer der Leere geführt, nachdem wir aus dem Himmel verstoßen wurden. Die Strahlenden waren die Ritterorden, die sie gegründet haben.«
»Und die Ritter waren Dämonen.«
»Sie haben uns verraten«, sagte Lirin, »sobald die Herolde nicht mehr bei uns waren.« Lirin hob den Finger. »Sie waren aber keine Dämonen, sondern bloß Menschen, die zu viel Macht und nicht genug Verstand hatten. Wie dem auch sei, du musst dir jedenfalls immer die Hände waschen. Du kannst mit eigenen Augen sehen, welche Auswirkungen das auf die Fäulnissprengsel hat, auch wenn keine Todessprengsel zu sehen sind.«
Kal seufzte noch einmal, tat aber, was ihm befohlen worden war. Lirin trug ein Tablett mit Messern und kleinen Glasflaschen zum Operationstisch. Er war seltsam. Obwohl Lirin dafür sorgte, dass sein Sohn Herolde und Verlorene Strahlende auseinanderhielt, hatte Kal seinen Vater oft sagen gehört, dass er die Bringer der Leere nicht als real betrachtete. Lächerlich. Wer sonst konnte denn dafür verantwortlich gemacht werden, wenn nachts Dinge verschwanden oder das Getreide mit Grabwürmern befallen wurde?
Die anderen im Ort waren der Meinung, dass Lirin zu viel Zeit mit Büchern und Kranken verbrachte und ihn das seltsam gemacht hatte. Ihnen war in seiner Gegenwart unbehaglich zumute, und Kal mochten sie ebenfalls nicht, weil er Lirins Sohn war. Allmählich begriff Kal, wie schmerzhaft es sein konnte, anders zu sein.
Nachdem er sich die Hände gewaschen hatte, hüpfte er wieder auf den Schemel. Er wurde nervös und hoffte, dass alles gutging. Sein Vater benutzte einen Spiegel, mit dem er
das Licht der Kugel auf Sanis Hand lenkte. Behutsam schnitt er den
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