Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)
den Grund dafür nicht verstehe.‹
Fünfzigtausend Gold-Sovereigns sind keine leichte Fracht, und wir mussten sie auf vier Mulis verteilen. Zusammen mit meiner berittenen Eskorte und mir selbst ergaben sie, als wir am nächsten Morgen in aller Frühe das Fort verließen, ein recht eindrucksvolles Bild. Gegen Mittag erreichten wir das Lager der Aufständischen, in dem Mullah Barrerai uns erwartete. Er war von vielleicht zwei Dutzend Stellvertretern umgeben, von denen einige bis vor kurzem auf unserer Seite gewesen waren. Das ganze Gebiet war mit kleinen Lagern übersät, wo sich im Laufe der letzten Tage Tausende von Stammesleuten versammelt hatten, um sich zum Angriff auf unsere Forts zu rüsten. Als wir uns begegneten, verriet Mullah Barrerai durch nichts, dass er mich bereits kannte.
Nachdem wir zu Mittag gegessen hatten, rief Mullah Barrerai die wichtigsten Stammeshäuptlinge zusammen und hielt ihnen in unserer Anwesenheit eine Ansprache. Mit wenigen Worten resümierte er die zwei Gründe, weshalb sich die Stämme gegen die britische Regierung zusammengeschart hatten; der eine war die Religion und der andere war Geld. Was die Religion anbelangte, so war sie kein stichhaltiges Argument, weil die Deutschen ebenfalls Ungläubige waren und sich ihre Religion in nichts von derjenigen unterschied, zu der sich die Briten bekannten.
Was das Geld anging, hatten die Deutschen zwar schon einiges gegeben, aber größtenteils handelte es sich um Versprechungen, und wie viel ein deutsches Versprechen wert war, hatte man bislang noch nicht überprüfen können. Demgegenüber war jetzt ein Bevollmächtigter der britischen Seite bei ihnen, mit Gold ausgestattet und bereit, jedes deutsche Versprechen damit aufzuwiegen. Wofür wollten sie sich also entscheiden?
Offenbar hatte Barrerai schon seit geraumer Zeit im selben Tenor zu diesen Leuten gesprochen. Dass wir jetzt mit Säcken voll Gold hier waren, bewirkte eindeutig einen Umschwung der öffentlichen Meinung zu unseren Gunsten, und ehe es Abend wurde, beschlossen die Stämme feierlich, die von den Briten angebotene Zahlung anzunehmen und nach Rückgabe der von den Deserteuren entwendeten Waffen auseinanderzugehen. Der Mullah winkte mich zu sich heran.
›Freust du dich über das Ergebnis?‹, fragte er mich leise.
›Ich weiß nicht, ob ich mich freuen kann‹, erwiderte ich. ›Jetzt, wo die Stämme Geld gewittert haben – was ist, wenn sie morgen von den Deutschen ein höheres Angebot bekommen oder glauben, wir hätten mehr zu bieten?‹
Auf Barrerais Gesicht erschien das vertraute Lächeln. ›Ah, du verstehst nicht! Wenn bezahlt werden sollte, würdet ihr tatsächlich in großen Schwierigkeiten stecken. Es wird nicht bezahlt werden. Heute Nacht werden du und ich und das Geld verschwinden. Begreifst du, was das bedeutet?‹
›Sag es mir!‹
›Wenn das geschieht, verlieren sie den einzigen Menschen, den sie für ehrlich genug gehalten hatten, um ihm in Gelddingen zu vertrauen. Dadurch wird so viel Argwohn und Verbitterung entstehen, dass es ihnen nie wieder möglich sein wird, sich unter einer Flagge zusammenzuschließen. Auf diese Weise wird sowohl für eure Sicherheit als auch für euer Geld gesorgt sein. Verstehst du jetzt meinen Plan?‹
›Jetzt ja. Das kann wunderbar aufgehen, aber was soll aus dir werden? Du musst etwas Geld nehmen, bevor du gehst.‹
›Freund, von dir Geld zu nehmen wäre so, wie Schweinernes zu essen. Sprich nie wieder davon. Ich kann immer ein Auskommen finden.‹
›Diesmal bist du es, der nicht versteht. Wenn wir so handeln, wie du vorschlägst, kannst du nie wieder derselbe sein, der du früher warst. Man wird dich jagen, weil man dich verdächtigen wird, ein Vermögen mit dir herumzuschleppen, und sie werden sich an dir rächen wollen, weil du sie um ihren Anteil am Gold bestohlen hast.‹
›Das ist ohne Belang‹, beteuerte er. ›Ich habe schon immer mit der einen oder anderen kleineren Schwierigkeit leben müssen. Ich weiß, dass du als Freund das Gleiche für mich tun würdest.‹
Nach diesen Worten lehnte er es ab, das Thema weiter zu erörtern. Er schwieg nicht nur während der wenigen Stunden, die wir im Lager verblieben, sondern sogar noch, als wir mitten in der Nacht in Richtung Fort aufbrachen.
Ich weiß nicht einmal, wann er sich von uns trennte. Im einen Moment war er da, und im nächsten war er verschwunden. Er muss sich still und leise mit dem Maultier, auf dem er ritt, verdrückt haben. Es war typisch für ihn,
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