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Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)

Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)

Titel: Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jamil Ahmad
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Familien. Wir trieben unsere Herden gemeinsam auf die Weide. Wir fingen im selben Alter an, auf den Feldern zu arbeiten. Zusammen machten wir ein paar Mädchen gegenüber unsere ersten frechen Bemerkungen und versteckten uns dann für den Rest des Tages, aus Angst, sie würden es ihren Vätern erzählen, die uns dann an den Kragen gehen würden. Wir hatten zusammen ein Gewehr, ein altes Luntenschloss – und wir waren zusammen, als ich damit meinen ersten Mann tötete. Er war ein Feind meines Vaters, und ich hatte mich an ihn herangeschlichen, während er auf dem Feld arbeitete. Als ich nah genug war, zündete ich die Lunte an und zielte. Der Mann sah das und rannte los. Das Gewehr brauchte eine gewisse Zeit, um zu feuern, und ich nahm die Verfolgung auf, das Gewehr auf die fliehende Gestalt gerichtet. Dein Vater fand den Anblick sehr komisch und stand da und lachte, bis der Schuss endlich losging und der Feind meines Vaters umfiel.
    Hol mir das Gewehr dort von den Sparren herunter«, sagte er zu einem Jungen, der ihm zu Füßen saß. Der Junge kletterte hoch und holte ein altes Luntenschlossgewehr mit einem langen, schweren Lauf und einem schlanken gebogenen Kolben herunter. Es war dunkel vom Alter, und das Holz unter dem Lauf war gesplittert. Im Hahn steckte keine Lunte.
    »Danach trennten sich unsere Wege. Dein Vater war schon immer ruhelos gewesen. Eines Tages ging er, ohne jemandem etwas zu sagen, und schloss sich der Armee an. Ich blieb hier.«
    Er schwieg eine Zeitlang. Einer der jungen Männer in der Ecke näherte sich und schürte die Glut und blies sie zu kleinen tanzenden Flammen hoch. Mehbub Khan sah den Jungen nachdenklich an.
    »Junge«, sagte er, »du bist Abdul Maliks Sohn. Ist es nicht so?«
    »Doch, Onkel«, erwiderte der junge Mann.
    »Es war dein Großvater, Kind, der sich um mich kümmerte, als ich so alt war wie du. Er war kein geselliger Mann, und es gab nicht viele Menschen in Tirah oder gar darüber hinaus, die ihn persönlich kannten. Er hatte einen furchterregenden Ruf. Er war als jemand bekannt, der zu allem bereit war, solange es genügend Geld einbrachte. Es waren düstere Geschichten im Umlauf, er habe in seiner Jugend als gedungener Mörder gearbeitet, aber im Alter war er gesetzter geworden und verdiente mehr als genug Geld, indem er ausländischen Regierungen Informationen verkaufte und gelegentlich Aufträge für sie erledigte.
    Er stand mit Afghanistan in Kontakt, mit der Türkei, mit Belgien und Deutschland und sogar mit Russland und China. Er arbeitete für sie alle, aber das störte sie nicht, denn er war solide und auf seine Art zuverlässig. Er muss von meiner Lage erfahren haben, denn er rief mich eines Tages zu sich und bat mich, etwas für ihn zu erledigen. Es war eine einfache Aufgabe, und sobald ich sie ausgeführt hatte, bezahlte er mich. Er war offenbar mit mir zufrieden, denn nach und nach vertraute er mir immer mehr Aufträge an, bis ich schließlich fast ununterbrochen für ihn arbeitete und selbst eigene Entscheidungen treffen konnte. Nach kaum zwei Jahren war ich so etwas wie sein Aufseher und organisierte die Arbeit in eigener Verantwortung.
    Junge, dein Großvater starb unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Seine Seele muss wirklich unglücklich darüber gewesen sein, diese Welt gerade dann verlassen zu müssen, als seine Dienste am meisten gebraucht wurden. Wie auch immer, als der Krieg ausbrach, fiel eine riesige Menge Arbeit an. Auch ich musste die Wahl treffen, wer von meinen verschiedenen Kunden ab jetzt bevorzugt behandelt werden sollte. Allmählich schien es sich von selbst zu entscheiden, und ich arbeitete bald fast nur noch für Afghanistan, die Türkei und Deutschland. Sie sahen unser Gebiet und unser Volk in jenen Jahren als wirklich wichtig an und waren bereit, viel Geld dafür auszugeben, damit ihre Interessen gebührend wahrgenommen wurden.
    Eines Tages – ich glaube, der Krieg war da zur Hälfte herum – erhielt ich von meinen deutschen Kontaktleuten eine sehr ungewöhnliche Nachricht. Sie erzählten mir von einem Plan, den man sich in ihrem Land ausgedacht hatte, nämlich unseren ganzen Stamm zum Kampf gegen die Briten zu organisieren. Acht Standarten oder Kriegsflaggen, eine für jeden einzelnen unserer Klans, waren in Deutschland angefertigt und mit passenden Versen aus dem Heiligen Koran bestickt worden. Die Standarten würden uns über die Türkei und Afghanistan zugesandt werden. Ich sollte darauf achten, dass diese

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