Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)
pakistanischen Luftwaffe bombardiert worden, und so stand sie noch heute da – eine rauchgeschwärzte Ruine. Der Sohn hatte argumentiert, da die Regierung das Gebäude beschädigt habe, sei es auch ihre Sache, es zu reparieren.
Als die alte Frau das Essen hereinbrachte – ein paar grobe Hirsefladen, ein mit Linsen geschmortes Huhn und ein Krug saure Buttermilch –, wandte sich Hamesh Gul an sie und sagte: »Könnten wir auch ein paar Walnüsse und Maiskolben als Wegzehrung bekommen?«
Ärger und Verdruss der alten Frau waren für uns deutlich zu erkennen. Sehr widerwillig ging sie die Sachen holen. Hamesh Gul schmunzelte. »Die Kuki Khels haben den süßesten Mais und die süßesten Walnüsse der Welt und hassen es, sich davon zu trennen«, erklärte er. »Heute kann sie sich aber nicht weigern, weil es eine Beleidigung Gästen gegenüber wäre. Ich wusste, dass es mir gelingen würde, ihr etwas abzuluchsen.« Er kicherte aus dem Bauch heraus, und Tor Baz schloss sich der Heiterkeit an.
Nach dem Essen brachen wir auf; sein Bündel mit Maiskolben und Walnüssen auf der Schulter, zog Hamesh Gul den Abschied noch etwas in die Länge. »Ich schicke dir deine Tochter vorbei«, versprach er. »Möchtest du mir ein paar Maiskolben für sie mitgeben?«
»Sie soll sich ihre eigenen anbauen!«, entgegnete die alte Frau wild und kehrte uns den Rücken zu.
Hamesh Gul war noch immer am Lachen, als ein Gewehrschuss ertönte. Er traf die Tür, die sich gerade hinter uns geschlossen hatte. Keine Minute später feuerte die alte Frau trotzig aus ihrem Haus zurück.
Ich war verwirrt stehen geblieben. »Keine Sorge«, sagte Hamesh Gul. »Diese zwei Familien haben eine Fehde, die schon seit zwei Generationen andauert. Die Männer der beiden Häuser sind nicht da, aber die zwei alten Frauen gehen immer mal wieder aufeinander los.«
Jetzt beeilten wir uns, unseren Bestimmungsort zu erreichen. Waren wir während der letzten zwei Tage langsam und gemächlich marschiert, so beharrte Hamesh Gul nun darauf, dass wir noch vor Einbruch der Dunkelheit das Gebiet der Qamber Khels erreichen sollten, um nicht die Nacht auf fremdem Territorium verbringen zu müssen. Als mir die Geschwindigkeit allmählich zu schaffen machte, setzten sie mich einfach auf eines der Lasttiere, bastelten mir zwei improvisierte Steigbügel und hasteten weiter, fast ohne eine Pause einzulegen. Mir war der Grund für ihre Eile nicht begreiflich, aber später erklärte man ihn mir.
Hamesh Gul war von seiner Schwiegermutter gewarnt worden, dass zwischen ihrem und dem Nachbarklan Ärger zu erwarten sei; dass die Kuki Khels versuchen könnten, entlang der Pfade, die durch ihr Gebiet führten, Hinterhalte zu legen, um ihren Feinden den Durchgang zu verwehren. Wann immer das geschah, würde der Verkehr zwischen den zwei Gebieten völlig zum Erliegen kommen, bis entweder die Ältesten oder die Mullahs der zwei Stämme zu einer Einigung gekommen wären.
Die Grenze zwischen den zwei Stämmen war in keiner Weise bezeichnet. Doch plötzlich, mitten auf einem Weg, der einem rauschenden Bach folgte, entspannte sich Hamesh Gul und begann sich um mein Wohlergehen zu sorgen. Er bestand darauf, dass ich absaß und mich ausruhte. Er forderte mich auf, mit den Händen Wasser aus einer rieselnden Quelle zu schöpfen und zu trinken. »Das süßeste Wasser der Welt!«, sagte er. Er lachte und scherzte mit zwei Jungen, die mitten im Bach standen und angelten, und als endgültiges Zeichen seiner Entspannung pflückte er ein paar Blüten von einem wilden Granatapfelbaum und steckte sie sich sorgfältig an die Mütze.
Er wünschte, er könnte sich ein Transistorradio kaufen. »Es lässt einen seine Müdigkeit vergessen«, behauptete er.
»Natürlich hätte ich das noch vor zehn Jahren nicht zu sagen gewagt«, fügte er lachend hinzu. »Der arme Mann, der das erste Radio nach Tirah brachte, wurde vor die Mullahs geschleift. Das Transistorradio wurde verurteilt und von einem Exekutionskommando kurz und klein geschossen!«
Hamesh Gul ließ Tor Baz und mich langsam weitermarschieren, während er vorauseilte, um uns bei »einem weiteren Schwiegervater« als Gäste für die Nacht anzukündigen. Wir werden Bagh morgen erreichen«, sagte er uns, bevor er ging. »Dann ist Freitag, und in der Stadt wird äußerst viel Trubel sein.«
Nachdem Hamesh Gul verschwunden war, gingen wir eine Zeitlang schweigend weiter, bis Tor Baz’ Stimme mich aus meinen Gedanken riss.
»Freund«, sagte er
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