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Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)

Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)

Titel: Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jamil Ahmad
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die Gegenseite das mit Sicherheit getan hätte? Die Jungen sind nicht wegen der Schulen erbittert, ihr Zorn richtet sich gegen die Ältesten, die so vermessen waren, in ihrem Namen mit der Regierung zu sprechen.«
    Er wandte sich zu mir. »Mein Sohn«, sagte er leise, »die Flaggen sind jetzt in der Hand der jungen Leute. Morgen wird man sie nicht gegen einen Eindringling von außen hissen. Man wird sie hissen, um die älteren Männer zu demütigen.« Er wünschte mir und den anderen eine gute Nacht und ging langsam aus dem Zimmer. Auch die anderen begannen, einzeln und zu zweien, zu gehen, bis schließlich nur noch meine Gefährten und ich für den Rest der Nacht blieben. Jedes Mal, wenn die Tür aufging, hörte ich das Rauschen des Wassers, das vom Dach herabströmte, und das Fauchen des Regens, der von Windböen gegen die Lehmwände gepeitscht wurde. In dem Augenblick, als sich die Tür schloss, erstickten die dicken Wände alle Geräusche und schufen ein Gefühl von Geborgenheit.

    Ich lag ein paar Minuten lang wach und kostete die Wärme und den Frieden aus, die der Raum gewährte, bevor ich einschlief; viel zu früh, so schien es mir, wurde ich am nächsten Morgen zum Frühstück geweckt.
    Ich öffnete die Tür und ging hinaus, um mich zu waschen. Der Regen hatte irgendwann während der Nacht aufgehört, aber es war noch immer bewölkt. Alle Mulden und Vertiefungen in der Umgebung waren bis zum Rand voll mit Wasser, und selbst die dünnen Risse in den Felsen waren dunkel von Feuchtigkeit. Ich konnte mir das Gefühl der Düsternis, das mich befiel, nicht erklären und eilte zurück in die Wärme, die ich verlassen hatte. Doch selbst als ich wieder drinnen war, verblieb das Gefühl der Leere, und ich wurde es einfach nicht los. Es schien auch meine Gefährten in Mitleidenschaft zu ziehen. Der eine oder der andere versuchte ein Gespräch anzufangen, aber es verebbte schnell wieder.
    Die Stimmung des vergangenen Abends war verflogen. Ich war ein Fremder, und so fühlte ich mich auch, als ich mich verabschiedete. Als ich ging, wünschte ich, meine letzte Erinnerung an das Haus wäre die an den vergangenen Abend gewesen und nicht die an die kalte Mutlosigkeit dieses Morgens.

    Wir marschierten, jeder in seine eigenen Gedanken versunken – vielleicht etwas verloren und verwirrt, aber unfähig, die Schale, die uns umgab, zu sprengen. Wir brauchten drei Stunden, um Bagh zu erreichen. Der Himmel hatte sich etwas aufgehellt, aber die Wolkendecke war noch dick genug, um die Sonne nicht hindurchzulassen.
    Tor Baz wollte das Grabmal eines heiligen Mannes in der Umgebung besuchen. »Du solltest mitkommen«, sagte er. »Ein echter Ungläubiger; ein
kafir mullah
«, fügte er als Kompliment an den heiligen Mann hinzu. »Ich lernte ihn vor einigen Jahren kennen. Er war ein prächtiger alter Mann.«
    Wir gingen langsam die einzige Straße von Bagh entlang. Hamesh Gul bestand darauf, dass mein wunder Fuß in einem der ersten Läden, an denen wir vorbeikamen, versorgt wurde. Der Besitzer, den Hamesh Gul eisern mit »Doktor« anredete, nahm mir den Verband vom Vortag ab, wusch meine Wunden und bedeckte sie mit einer Schicht Haarpomade, ehe er die alten Binden wieder darumwickelte. Draußen wimmelte es von Männern, die in Grüppchen geruhsam die Straße entlangschlenderten und neugierig in jeden Laden hineinschauten und die anderen Passanten betrachteten. Einer der am besten besuchten Läden befand sich direkt neben dem, in dem ich gerade verarztet wurde. Der Eigentümer handelte mit Opium und Haschisch, und mehrere Männer feilschten mit ihm um einen guten Preis für die dunklen, fast schwarzen Platten des Rauschgifts. Uns gegenüber war ein kleines Geschäft, vor dem ein Mann mittleren Alters seinem kleinen Sohn dabei zusah, wie er eine Tomate aß, die er ihm nach reiflicher Prüfung aus einem Korb ausgesucht und gekauft hatte.
    Tor Baz stand dicht neben mir. Bei jedem Grüppchen, das vorbeikam, flüsterte er mir ins Ohr. »Die sind von einem Nachbarstamm, den Para Chamkanis«, sagte er dann beispielsweise. »Hast du die Beinkleider gesehen, die sie tragen?« Oder: »Schau, das sind Orakzais. Ich frage mich, was sie hier wollen. Sie haben doch ihr eigenes Bagh.«
    Dann deutete er auf eine Gruppe bärtiger Männer, die gerade vorbeigingen. »Da siehst du Hindus. Die Afridis erlauben ihnen nicht, weiße Turbane zu tragen, also tragen sie farbige.«
    Einen nach dem anderen spulte er die Namen der Stämme und der Afridi-Klans

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