Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)
abgerichtet hatte.
Dieser junge Mann hatte um Shah Zarinas Hand angehalten. Die Verhandlung um den Brautpreis war erfolgreich gewesen, und die Hochzeit würde in einem Monat stattfinden. Die ganze Familie war in heller Aufregung. Es war schon immer ihr Traum und ihre große Hoffnung gewesen, für die älteste Tochter einen Mann mit unabhängigem Einkommen zu finden, aber dass dieses Wunder während eines Besuchs bei den Eisschneidern zustande kommen würde, hätten sie niemals erwarten können.
Fateh Mohammad hatte schon einen Teil des Brautpreises als Vorschuss mitgebracht. Damit ausgestattet, begann die Familie mit ihren Vorbereitungen: das Brautkleid aussuchen und nähen, das dem Mädchen für den größten Teil seines Ehelebens seinen Dienst tun würde, ein paar Gebrauchsgegenstände und sogar ein bisschen Flitter zum Aufnähen für den festlichen Anlass. Sie kauften außerdem Vorräte für das bevorstehende Hochzeitsmahl.
Genau einen Monat später kam die Familie des Bräutigams hinunter nach Miandam. Der Bräutigam war ein mürrischer junger Mann, den die Hochzeitsgäste unschwer ausmachen konnten, weil er einen watschelnden Bären mit Nasenring hinter sich herzog, den er an einem Baum festband und dem er den Kopf tätschelte, bevor er zum Haus kam. Sein Vater und seine Brüder waren mit Eisblöcken beladen und bestanden darauf, sie erst zu den Lastwagen zu tragen, bevor sie sich der Festgesellschaft anschlossen.
»Wir wollten den Weg nicht umsonst machen«, erklärten sie.
Der Vater zählte den Restbetrag des Brautpreises ab und übergab ihn Fateh Mohammad, bevor die Hochzeitszeremonie begann. Sobald sie aufgegessen hatten, wünschte der Vater dem Sohn viel Glück mit dem Bären und brach mit seinen anderen Söhnen zu ihrem Dorf auf. Unterwegs fiel ihnen ein, dass sie die Braut nicht einmal zu Gesicht bekommen hatten, und hofften, dass ihr Bruder eines Tages zurückkommen und sie besuchen und – falls es tatsächlich dazu kam – auch seine Frau mitbringen würde.
In Fateh Mohammads Haus glühten Shah Zarinas Wangen angesichts der Neckereien, denen sie besonders vonseiten der verheirateten Frauen ausgesetzt war. Sie zogen sie damit auf, was sie von einem Ehemann so alles zu erwarten habe. Gleichzeitig beneideten sie sie offenkundig wegen ihres Glücks, in die Stadt zu entkommen. Der Ehemann blieb noch einen Tag im Dorf und verbrachte die Nacht unter dem Baum neben dem Bären.
Am nächsten Morgen kam er mit dem Bären vor Shah Zarinas Haus marschiert, wo sie mit ihren zu Bündeln verschnürten wenigen Gerätschaften und sonstigen Habseligkeiten auf ihn wartete. Als ihre Schwestern und ihre Stiefmutter ihn kommen sahen, brachen sie, wie bei solchen Anlässen üblich, in Tränen aus. Shah Zarina raffte ihre Bündel zusammen, setzte sie sich auf den Kopf, trat aus dem Haus und ging langsam hinter ihrem Mann her. Ein paar Kinder und Frauen begleiteten sie ein Stück des Weges, machten aber kehrt, als das Brautpaar die Brücke erreichte, hinter der die Straße begann.
Die Truppe – Ehemann und Bär vorneweg, Shah Zarina mit ihrer Mitgift auf dem Kopf hinterher – marschierte Meile um Meile. Jedes Mal, wenn sie sich einem Dorf näherten, ließ Shah Zarina sich weiter zurückfallen, weil sich dann lärmende Kinder um den Bären scharten und so lange neben ihm hergingen, bis sie am Dorfende waren. Ab und an feilschte jemand mit ihrem Mann, und danach fing eine Vorstellung an. Der Bär führte einen schlurfenden Tanz auf, ahmte einen alten Mann nach, knurrte und lieferte sich ein Scheingefecht mit seinem Herrn, nebst vielfältigen weiteren – teils spaßigen, teils tragischen, teils ernsten – Unterhaltungsnummern für das Honorar, auf das man sich geeinigt hatte. Ihr Mann begleitete die Vorstellung mit einem Singsang, in dem er den Zuschauern erklärte, was der Bär gerade tat.
Shah Zarina fürchtete sich immer, wenn sie durch ein Dorf kamen. Es lag nicht nur am Ungestüm der Dorfjungen. Ein, zwei Mal liefen die Dorfhunde zusammen und versuchten, den Bären anzugreifen, während die Dörfler lachend zuschauten. Als es das erste Mal passierte, war ihr kalt und einsam zumute, weil ihr Mann verzweifelt versuchte, den Bären zu schützen, und sie sich und ihre Mitgift selbst verteidigen musste. Während sie zwischen kläffenden Hunden und rempelnden Fremden hin und her stolperte, fielen einzelne auf sie gemünzte Bemerkungen, die ihr Mann geflissentlich überhörte.
In einem Ort – einem großen
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