Der Weg des Feuers
Räumungen unverzüglich durchführen. Seine Majestät wünscht, dass so viele Leben wie möglich gerettet werden.«
Medes machte sich sofort an die Arbeit.
Da war es also – das Zeichen des Propheten!
Entweder handelte es sich dabei um ein Täuschungsmanöver, mit dem die Behörden und die Verteidigungskräfte verwirrt werden sollten, um einen Überfall der Nubier vorzubereiten; oder aber es war dem Propheten irgendwie gelungen, den Nil in eine schreckliche Vernichtungswaffe zu verwandeln. In beiden Fällen hieß das, ein Großangriff stand bevor!
Die Aufständischen, die nach Memphis eingeschleust worden waren, würden wieder in der Hauptstadt zuschlagen. Medes freute sich und hatte nur eine Sorge: Irgendwie musste er sich in Sicherheit bringen, damit er nicht den kommenden Ereignissen zum Opfer fiel.
Selbst Schiefmaul zitterte vor Angst.
Aus dem steinernen Bauch stieg ohrenbetäubender Lärm empor. Der Kampf der wütenden Wasser gegen den Felsen nahm noch an Heftigkeit zu, die Flut stieg weiter und schwoll unaufhörlich an.
Die nubischen Zauberer murmelten ohne Unterbrechung unverständliche Sprüche vor sich hin, während die roten Augen des Propheten angriffslustig funkelten, als er nach Norden blickte. Zu seinen Füßen saß Bina und betrachtete den wüsten Himmel, an dem Seths Zorn tobte. Weil es dem Propheten gelungen war, die zerstörerischen Kräfte des Katarakts zu wecken, steigerte er ein Naturereignis zu einer gewaltigen Bedrohung.
Shab der Krumme zog Schiefmaul zurück.
»Geh nicht so nah hin, eine Woge könnte dich mitreißen!«
»Nicht zu fassen… Unser Herr ist schon erstaunlich!«
»Begreifst du das jetzt endlich auch?«
»Dann besiegt er also den Pharao?«
»Sesostris ist und bleibt ein gefährlicher Gegner. Aber unser Herr kann seine Absichten ausgezeichnet vorbereiten und ist ihm immer einen Schritt voraus.«
»Und er schafft es, den Fluss zu entfesseln… Nicht zu fassen!«
»Das gelingt ihm, weil er den wahren Glauben hat. Er wird die ganze Welt überströmen und die Ungläubigen vernichten.«
In einer Fontäne sprang das rasende Wasser aus dem steinernen Bauch und bahnte sich ungewöhnlich machtvoll einen Weg durch die Felsen.
Jetzt dauert es nur noch wenige Tage, bis Osiris sein Schweigen aufgibt und die Gestalt der Schwemme annimmt, dachte der Prophet. Doch diesmal wird er Ägypten nicht Leben, sondern Tod bringen.
Vom westlichen Steilufer des Nils aus gesehen, schien Elephantine friedlich in der strahlenden Hochsommersonne vor sich hin zu dösen. In der betäubenden Hitze leuchtete das satte Grün der Palmen, und der Nil schillerte dunkelblau. Doch das sollten die letzten Stunden dieser reizvollen Landschaft vor ihrer Verwüstung sein. Nachdem es siebzig Tage verschwunden war – so lange dauerte das Ritual der Mumifizierung eines Pharaos –, würde jetzt das Sternbild des Orion wieder erscheinen. Wenn es sich in dieser Nacht wieder zeigte, verkündete es die Auferstehung von Osiris und den Beginn der steigenden Flut. Nun waren aber diese Wasser zum ärgsten Feind des Landes geworden, dem sie eigentlich Glück und Wohlergehen schenken sollten.
»Der Tau ist heute von anderer Beschaffenheit«, sagte Isis.
»Morgen beginnt die Schwemme.«
»Es ist nicht Osiris, der sein Volk so straft«, sagte der Pharao,
»und die Natur wütet auch nicht von allein so.«
»Denkt Ihr dabei an den Propheten, Majestät?«
»Er ist verärgert darüber, dass ihm der Baum des Lebens so viel Widerstand entgegensetzt, und greift jetzt zu einer anderen Waffe.«
»Ist denn ein einzelner Mensch überhaupt in der Lage, solche Naturgewalten zu entfesseln?«
»Er hat sich die Unterstützung der nubischen Zauberer gesichert. Sollten wir den Angriff überleben, müssen wir diese Landschaft vor dem Untergang retten.«
»Was können wir tun?«
»Der irdische Fluss entspringt aus dem himmlischen Nil, der wiederum aus dem Nun, dem Urmeer stammt. Der Prophet hat zwar den Strom in Unruhe versetzt, wird aber seine wahre Quelle nicht treffen können – Mutter und Vater der Enneade, die sich in den Tiefen dieses fruchtbaren Wassers verbirgt. Sie allein kann die Schwemme besänftigen, sie allein kann uns jetzt noch retten. Deshalb muss ich mich in die Höhle von Biggeh begeben und die Enneade anrufen.«
»Unser Volk und sein Land brauchen Euch jetzt, Majestät. Man verlangt ständig nach Euren Anweisungen. Wenn Ihr nicht zu sehen seid, wenn die Menschen glauben, Ihr wärt verschwunden, wäre das das
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