Der Weg des Unsterblichen
packte ihr Handgelenk und riss sie auf die Füße.
Dann lief ich los, mit schnellem Schritt voller wütender Energie. Es war mir egal, dass sie kaum hinterherkam oder ob sie stolperte, ich zog sie gnadenlos weiter, mit eisernem Griff. Dabei interessierte mich überhaupt nicht, was dieses Mädchen gemacht hatte. Ich war wütend auf mich selbst. Warum hatte ich dieses Monster nicht getroffen? Warum hatte ich es nicht geschafft, ihn einfach zu töten, so wie ich es viele Male als bester meiner Klasse im Training geübt hatte?
Sein Blick, der mich verhöhnte, abstempelte. Jedes Mal, wenn ich für eine Sekunde meine Augen schloss, sah ich ihn vor mir. Er war weg, aber das reichte mir nicht. Egal, was er hier getan hatte, ich wollte ihn dafür büßen lassen.
Wir kamen an den Waldrand, und ein paar Meter vor uns konnte ich einen der anderen Schüler der Akademie über den gewundenen Trampelpfad auf den Wald zukommen sehen.
Abrupt blieb ich stehen und das Mädchen, deren Handgelenk ich immer noch umklammert hielt, prallte gegen meinen Rücken. Ich ignorierte es, denn durch meinen Kopf jagten noch immer die Gedanken.
»Nero, du bist ja schon hier oben! Ich dachte du hast erst morgen deine erste Schicht?«, rief mir der andere Soldat entgegen. Er war blond und groß, und obwohl seine Stimme belustigt klang, blieb sein Gesicht starr wie Stein.
»Offensichtlich bin ich bereits hier, ja.«
»Wen hast du denn da im Schlepptau?« Er betrachtete das Mädchen. »Was hat sie angestellt? Bitte sag mir, dass es schon an unserem ersten Abend hier einen Skandal gibt!«
Ich sah in sein erwartungsvolles Gesicht, spürte ihre zitternde Hand unter meinen Fingern und hätte zu gern eine Geschichte erzählt, die zu meinem Ruf als Klassenbester passte. Aber zu erzählen bedeutete zuzugeben, dass ich versagthatte. Neben meinem Stolz als frisch ausgebildeter Soldat und meinem Ego sprach auch die Angst vor der Reaktion meines Vaters dagegen. Und dass es sich bis zu ihm herumsprechen würde, war wirklich keine Frage, er hatte immer und überall seine Augen.
»Du wirst enttäuscht sein.« Ich zuckte leicht mit den Schultern. »Ich bin ihr nur in den Wald gefolgt, als sie nach der Rede auf einmal fort gerannt ist. Vater und die Lehrer haben uns gelehrt, dass sich die meisten Dämonen in den Wäldern herumtreiben, also bin ich ihr gefolgt, um sie auf diese Gefahr hinzuweisen und zurück ins Dorf zu geleiten.«
»Wie langweilig.« Er zuckte mit den Schultern. »Dann mach das mal. Wir sehen uns morgen.« Mit gelangweilter Miene ging er an uns vorbei in Richtung Wald.
»W-Was war das denn?« Erst als ihre Stimme hinter mir erklang, dachte ich wieder an das gerade noch panische Bündel Menschenmädchen. Ich drehte mich zu ihr um.
Scheinbar hatte sie sich wieder gefangen, denn auch wenn ihre vielfarbigen Augen immernoch eine Spur von Angst zeigten, war ihr Blick mittlerweile eher trotzig. »Warum hast du nicht…«
»Schweig!«, fauchte ich sie an. Obwohl sie zusammenzuckte, blieb ihr Blick gleich. »Solltest du als Engel nicht netter sein, damit eure Fassade erhalten bleibt?«
Ich biss mir auf die Unterlippe und trat so nah an das Mädchen heran, dass ich nur noch flüstern musste: »Du solltest froh sein, dass ich dich nicht direkt in das nächste Gefängnis für Hochverräter schleppe und für den Rest deines Lebens einkerkern lasse.«
Ihr Wille war sofort wieder gebrochen, und ich konnte sehen, dass sie ein Aufschluchzen unterdrückte. Ich schluckte kurz und stieß dann ein Seufzen aus. »Verschwinde.«
Ohne auf weitere Aufforderungen zu warten, drückte sie sich an mir vorbei und rannte den Weg zur Stadt zurück.
Ich sah ihr noch eine Weile nach, bis sie zwischen den Häusern verschwunden war, dann seufzte ich erneut. Dieses wütende, angstmachende Ding hier war doch nicht ich.Nein, es war dieses verdammte Ego, dieses Versagen … es war mein Vater, der aus mir sprach.
9
Noé . - “…und inmitten unserer Welt, die von Krieg und der größten Hungersnot seit Menschengedenken geschüttelt war, tauchten sie auf. Die Engel. Sie hatten ihr Himmelreich verlassen, um uns Menschen zu retten, und das war es auch, was sie taten.” Unser Lehrer, Herr Serloh, blickte über die Ränder seiner runden Brille und wischte sich in einer langsamen Bewegung das schüttere, farblose Haar aus dem Gesicht. “Sie öffneten die Welt der Dämonen, um uns nahezu unendliche Reserven an Rohstoffe und Nahrung zugänglich zu machen. Sie beendeten unsere
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